Die Geträumten
Spielfilm, AT 2016, Farbe, 89 min., OmeU
Diagonale 2016
Regie: Ruth Beckermann
Buch: Ruth Beckermann, Ina Hartwig
Darsteller:innen: Anja Plaschg, Laurence Rupp
Kamera: Johannes Hammel
Schnitt: Dieter Pichler
Originalton: Georg Misch
Weitere Credits: Casting: Lisa Òlah,
Produktionsleitung: Hanne Lassl
Produzent:innen: Ruth Beckermann
Produktion: Ruth Beckermann Filmproduktion
Großer Diagonale-Preis 2016
Bester österreichischer Spielfilm
Diagonale-Preis Schnitt 2016
Beste künstlerische Montage Spielfilm
Zwei junge Schauspieler/innen: Anja Plaschg und Laurence Rupp. Sie treffen sich im Wiener Funkhaus, um jene Briefe zu lesen, die Ingeborg Bachmann und Paul Celan einander von ihrem Kennenlernen im Nachkriegswien an bis zu Celans Selbstmord 1971 geschrieben haben. Die schwankenden Gefühle der Briefe – Rausch und Verlustangst, Entzücken und Erschrecken, Nähe und Fremdheit – gehen auf die Schauspieler/innen über. Ein Film über Liebe damals oder Liebe heute, schwebend zwischen Inszenierung und Dokumentation.
„Einen Film zu machen über alles, was man nicht filmen kann“, hatte Ruth Beckermann schon länger gereizt. Der Gedanke ist eine logische Konsequenz ihrer bisherigen Arbeiten: die Grenzen des Dokumentarfilms zu überschreiten, aber auch jene des Schauens neu zu stecken. Beckermann lässt die Musikerin Anja Plaschg und den Schauspieler Laurence Rupp Briefe vortragen, die Ingeborg Bachmann und Paul Celan einander schrieben, nachdem sie sich 1948 zum ersten Mal begegnet waren – sie damals 22, er 27 Jahre alt. Etwa zwei Monate lang waren sie zusammen, dann, bis auf ein Wiedersehen und einer weiteren, intensiven Liebesphase knapp zehn Jahre später, immer räumlich getrennt, aber emotional und geistig verbunden, bis zu Celans Selbstmord 1971. Die Briefe – tief empfundene Bekenntnisse zum Möglichen, doch nie Realen – werden in Beckermanns Film mehr als nur hörbar gemacht. Im Wiener Funkhaus, wo die Gemälde an der Wand wie Fenster in die Welt wirken, lesen Plaschg und Rupp die Texte nicht nur ein – sie lassen zu, dass diese auf sie wirken, dass diese Liebe auf sie wirkt, in ihrem Rausch, ihrer Verlustangst, ihrem Entzücken, ihrem Erschrecken, ihrer intimen Nähe und schmerzlichen Fremdheit, aber auch in ihrem historischen Kontext der Nachkriegszeit. In den Pausen, die Plaschg und Rupp zurück in den Alltag führen (sollen), gehen sie in die Kantine, rauchen am Hinterausgang oder stolpern zufällig in die Orchesterprobe eines Stücks von Wolfgang Rihm. Immer schwebender wird dieser übergang (Schnitt: Dieter Pichler), immer stärker die Verbindung der beiden fremden Vorleser/innen mit den Texten selbst, aber auch zueinander. Die Kamera von Johannes Hammel steht dabei nie ganz still, alles ist aus der Hand gefilmt. So leben die Bilder, vibrieren, reagieren sie: auf die tiefsten Regungen im Gesicht von Plaschg, auf die juvenilen Unsicherheiten von Rupp, die er immer mehr verliert. Tatsächlich entsteht eine intensive filmische Sprache, die der literarischen Dichte der Texte neuen Raum und tiefen Atem gibt – gar zwei neue Leben.
(Katalogtext, az)
ruthbeckermann.com, diegetraeumten.at
Ingeborg Bachmann und Paul Celan gehören in die Reihe großer, moderner Liebender. Ihre Liebe ist einerseits einzigartig, sie steht aber auch paradigmatisch für die Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Begegnung nach der Katastrophe des Kriegs und der Vernichtung. Die wohl wichtigsten deutschsprachigen Dichter/innen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ringen um jene Fragen, die ich mir selbst immer wieder gestellt habe: Was bedeutet Liebe in unserer modernen bzw. postmodernen Zeit? Wie viele Generationen weit reicht die Zerstörung von Empathie und Vertrauen durch die NS-Ideologie in deren Kernländern Deutschland und Österreich? Sind Leben und Kunst vereinbar?
(Ruth Beckermann)
Das Ö1 Diagonale-Special am Samstag, 12.3. um 11 Uhr im Schubertkino 1
Schon gehört? Ö1 und die Diagonale laden zu einer cineastisch-kulinarischen Matinee. Auf dem Programm: Ruth Beckermanns neuer Film Die Geträumten über die dramatische Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. In Anwesenheit der Regisseurin. In Kooperation mit Ö1.
Nach dem Screening: Spezialitätenbüffet von Delikatessen Frankowitsch, Gösser Bier und MAKAvA.