WALDEN
Dokumentarfilm, CH 2018, Farbe, 106 min., ohne Dialog
Diagonale 2019
Regie, Buch: Daniel Zimmermann
Kamera: Gerald Kerkletz
Schnitt: Bernhard Braunstein
Originalton: Klaus Kellermann
Sounddesign: Karoline Heflin
Produzent:innen: Aline Schmid
Produktion: Beauvoir Films
13 präzis geführte Rundumschwenks
begleiten eine im österreichischen
Admont gefällte Tanne auf
ihrem Weg in den brasilianischen
Regenwald. Dabei durchläuft der
Baum verschiedene Zustände – wird
von der Pflanze zum Baustoff zum
Produkt. Wird verladen, registriert
und verzollt. WALDEN denkt über
diese Prozesse und ihre Einbindung
in globale Wirtschaftskreisläufe
nach und versetzt unser Denken in
eine Kreisbewegung.
Eine ruhige, lange, nicht enden wollende Kamerabewegung,
ein Schwenk, irgendwo in einem Wald
in Österreich. Im Vorbeiziehen sehen wir einen
Waldarbeiter, lassen auch diesen in der Bewegung
hinter uns, hören eine Motorsäge anspringen. Ein
paar Schläge, ein Warnruf, während die Kamera von
Gerald Kerkletz unbeirrt weiterschwenkt. Die Tanne
fällt, lässt die umstehenden Bäume erzittern, schlägt
mit gigantischer Wucht auf den Boden auf und damit
wieder ins Bild hinein. In zwölf weiteren Schwenks
verfolgen wir ihren Weg über Schnellstraßen und
Grenzposten, an Verladestationen bis zum Hafen,
von dort nach Brasilien, wo sie einen ähnlichen Weg
in umgekehrter Richtung nimmt, um – mittlerweile
zu Brettern verarbeitet – irgendwo im Urwald zu
verschwinden.
Die den Film durchziehende Bewegung unseres
Blicks – von links nach rechts – ruft die Leserichtung
auf und suggeriert Fortschritt. Der aber verläuft sich
immer wieder, weil er in einer Kreisbewegung mündet,
die das immer Gleiche immer wieder zu sehen
gibt. Dafür ermöglicht dieser formale rote Faden
ein anderes Sehen, das kontemplativ, gleichmütig,
nicht wertend erst einmal alles nebeneinanderstellt:
die Natur und den Menschen, die Wälder und die
Autobahnen, die Waren und die Grenzposten, die
Indigenen in Brasilien und ihre Boote. Der Baum auf
seinem Weg von einem Ende der Welt zum anderen
durchläuft dabei verschiedene Zustände, wird von der
Pflanze zum Baustoff zum Produkt und tritt damit ein
in die Kreisläufe der Verarbeitung, des Handels, der
Zölle, löst sich aus seinem ursprünglichen Zustand,
um überzugehen in den ewigen – physischen wie
symbolischen – Transit.
Die Reise, auf die der Schwenk den Baum mitnimmt,
ist, so scheint es, eine ungewöhnliche. In der
Logik von weltweitem Handel und Ausbeutung der
natürlichen Ressourcen denken wir üblicherweise
an die entgegengesetzte Bewegungsrichtung: Die
Natur wird andernorts abgebaut und ausgebeutet,
in den westlichen Industriestaaten wird zumeist nur
das fertige Produkt sichtbar. Wozu braucht man im
brasilianischen Urwald Bretter aus österreichischem
Tannenholz, fragt man sich – bis man beginnt, diese
Frage umzudrehen und umzudrehen und umzudrehen,
in einer nicht enden wollenden Kreisbewegung,
zu der uns die Kamera eingeladen hat.
(Katalogtext,
ab)