Erde
Dokumentarfilm, AT 2019, Farbe, 115 min., OmdU
Diagonale 2019
Regie, Buch, Kamera: Nikolaus Geyrhalter
Schnitt: Niki Mossböck
Originalton: Pavel Cuzuioc
Simon Graf
Lenka Mikulová
Hjalti Bager-Jonathansson
Nora Czamler
Sounddesign: Florian Kindlinger
Weitere Credits: Tonmischung: Alexander Koller
Farbkorrektur: Lukas Lerperger
Kameraassistenz:Christoph Grasser, Sebastian Arlamovsky, Thomas Cervenca, Simon Graf, Alexander Gugitscher, Felix Krisai
Produzent:innen: Michael Kitzberger, Markus Glaser, Wolfgang Widerhofer, Nikolaus Geyrhalter
Produktion: NGF - Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH
Eine Großbaustelle in Kalifornien,
ein Marmorsteinbruch in Italien,
eine Kupfermine in Spanien oder
der entstehende Basistunnel unter
dem Brennerpass: 156 Millionen
Tonnen Erde bewegt der Mensch
täglich. Der Verhältnisordnung zwischen
Natur, Menschen und deren
Maschinen nachspürend begibt sich
Nikolaus Geyrhalter in Erde an Orte,
an denen der Mensch tiefe Wunden
in die Natur schlägt, um ihrer habhaft
zu werden.
Eine mit Sand und Gestein bedeckte Fläche, die
von oben gefilmt den gesamten Bildraum einnimmt.
Langsam ziehen dort unten ein paar Baufahrzeuge –
klein wie Spielzeugautos wirken sie aus dieser Perspektive
– spiralförmige Bahnen. In den folgenden
Einstellungen durchmisst die Kamera die Baustelle
auf ihrem Grund. In einem ruckeligen Vor und Zurück
graben sich die Schaufeln von Raupenbaggern vor
dem Panorama einer kargen Bergkette durch den
Boden, um ebendiesen abzutragen. Eine Siedlung
soll hier entstehen – Straßen, Häuser, vermutlich ein
paar Shoppingmalls.
Die Großbaustelle in Kalifornien, ein Marmorsteinbruch
in Italien, eine Kupfermine in Spanien
oder der entstehende Basistunnel unter dem Brennerpass:
In seinem jüngsten Werk Erde begibt sich
Nikolaus Geyrhalter an eine Reihe von Orten, an
denen der Mensch tiefe Wunden in die Natur schlägt,
um ihrer habhaft zu werden. Seine präzis komponierten
Bilder wandern von oben nach unten, bewegen
sich von außen nach innen und wieder zurück, um
Schritt für Schritt die Kraft- und Größenrelationen
zwischen Mensch, dessen Maschinen und Natur freizulegen.
So zeigen etwa ausgefeilte Einstellungen
des Brennerbasistunnels erst das maschinenüberfrachtete
Innenleben des Stollens mitsamt seinen
Außenrändern, um in einer späteren Ansicht den
Handgriffen eines Arbeiters zu folgen, der unter
Höllenlärm mit wuchtiger Gerätschaft grobe Löcher
ins Gestein drillt. Eine Verhältnisordnung, der Erde
auch in den eingeflochtenen Gesprächssequenzen
nachspürt, in denen die Protagonist/innen direkt in
die Kamera blickend von jenen Arbeitsprozessen
sprechen, die der Film ins Auge fasst. Hier und da
fragt Geyrhalter behutsam aus dem Off nach Hintergründen,
Triebfedern und denkbaren Konsequenzen
des menschlichen Einwirkens gegen die Natur.
Dass dieses per se nicht ohne Spuren bleiben kann,
die letztlich unbehaglich auf uns selbst zurückfallen,
thematisiert Erde nicht zuletzt in den späteren
Sequenzen. Der entscheidende geologische Faktor
der Gegenwart, so heißt es zu Beginn des Films, ist
eben der Mensch.
(Katalogtext, jk)
Erde (macht) in seiner subtilen Reduziertheit
diese Welt in besonderer Weise spürbar: die grauen
Haufen, Hügel und Berge. Die Schwärze und die
Risse. Die sandigen Landschaften, durchquert von
einer Vielzahl verschiedenster mechanischer Hilfsmittel,
die wie Raupen oder Regenwürmer hin- und
herkriechen. Die Dimensionen sind hier immens,
die Relationen abhandengekommen, die Welt ist
dem Menschen entglitten. „There is always a bigger
machine, a bigger engine and when all fails there is
always dynamite. We always win.“ Oder auch nicht.
(Alejandro Bachmann, Berlinale Forum 2019)