Austro-Pop-Film
Starschnittpositionen zum österreichischen Kino
Falco war gestern. Die Gegenwart heißt Wanda, Bilderbuch und Voodoo Jürgens. Dreißig Jahre nach den Welthits des Johann Hölzel schickt sich Österreich wieder an, eine Pop-Nation zu werden. Den Hype zum Anlass nehmend blickt das Filmarchiv Austria zurück: auf die erste große Welle des Austropops, als lokale Sängerikonen wie Ambros, Fendrich und Hansi Lang nicht nur die Charts hochrasten, sondern auch die Kinoleinwände bevölkerten – mit durchaus sehenswerten Ergebnissen. Bonustrack: zwei filmische Zeitkapseln als aus dem ORF-Archiv.
„It’s not going to be a hit, so why even bother with it?“ Mit diesen trotzig hingerotzten Liedzeilen verabschiedete sich Bill Callahan alias Smog vom Kaff Silver Spring, dem Attnang-Puchheim von Washington, D.C., und wurde bedeutendster Lo-Fi-Songwriter des auslaufenden 20. Jahrhunderts. So viel davon könnte auch für das seltsame österreichische Selbstverständnis von Popkultur stehen: die neurotische Suche nach dem Selbstwert. Der Glamour der Fallsucht. Das Aufbegehren gegen das ewige Abstellgleis Heimat, das ohnehin nie mit all den Stones, Beatles und Biebers wird mithalten können.
Jahrzehntelang war klar: Mick Jagger heißt hier Rudolf Prack. Gerockt wird mit Anstand und Würde, zahnputzweiß wie Peter Alexander. Der härteste Hund in der Hood ist grad mal Helmut Qualtinger, „da gschupfte Ferdl mit seim Feidl“. Immer ein bisserl Operette. Immer ein bisserl Kabarett. Bloß nie zu viel Sex, Gewalt und Rebellion als sehnsuchtsbefeuerte Quintessenz jeder Jugendkultur. Wenn, dann nur schaumgebremst unter einem erstickenden Milchkrönchen Ironie. Und dann kamen sie plötzlich alle angetanzt: Wanda. Bilderbuch. Soap&Skin. Anna F. Voodoo Jürgens. Seiler & Speer. Menschlich übermenschliche Zauberwesen von nebenan, die mit Glitzer, Hüftschwung und „Bussi Baby“ auch die internationalen Hallen füllen, ohne den lokalen rot-weiß-roten Selbstbezug zu verlieren.
Dreißig Jahre nach dem Weltruhm von Falco (nebst Opus, Zawinul und Supermax) macht sich la bellezza Austria wieder als Pop-Nation breit. Verwunderlich, dass das so lang gedauert hat: Pop ist mittlerweile ja die grundlegende Kultursprache des von Mark Fisher formulierten kapitalistischen Realismus, damit unseres täglichen Überlebenskampfs. Die Ich-AG kann gar nicht anders, als sich mittels beständiger Selbstoptimierung und Selbstüberhöhung auf die Bühne der frei konkurrierenden und kannibalisierenden Marktwirtschaft zu werfen. Und jeder noch so tragische Lebenseinschnitt hat wie weiland die offene Herz-OP an Roy Scheider in Bob Fosses Kinoklassiker All That Jazz (1979) mittels Facebook, Snapchat und Online-Karaoke zu einer ganzen verdammten Musicalnummer zu mutieren. It’s all pop, folks!
Und tatsächlich: Österreich als Kernland der Hochkultur samt zugehörigem Hochnasentum, nabelverliebtem Kaffeehausschwadronieren und strategisch langer Leitung hat Anschluss an diese schnellen, grellen Narrative des Pop gefunden. Es ist eine kritische, aber auch geile Entwicklung. Und der ging natürlich nicht nur die globalisierte Gentrifizierung voraus, sondern auch ein Füllhorn der um Raum und Gehör kämpfenden Subkulturen, die mittels Pop die Mehrheitsfähigkeit des Mainstream erreichten. Nur: Wo vom Jazzer, Schlurf und Gammler bis zum Hippie, Punk und Raver über Jahrzehnte alternative Konsumnetzwerke aufgebaut wurden, wird die alternative Pop-Basisversorgung durch Sprachrohre wie FM4 und „VICE“ gerade in Österreich mittlerweile 24/7 in jeden Privathaushalt geliefert und sichert einen außerordentlich hohen Hipster-Quotienten. Das ging natürlich auch am Kino nicht spurlos vorüber.
Wobei das österreichische Kino die Popkultur meist parasitär nutzt, sprich in aktuelle FM4-Charts als Soundtrack investiert, um alte Storys modisch singend und klingend zu behübschen. Nur wenige Werke entstanden aus der Perspektive von Subkultur und Pop, wie die legendäre Doku Arena besetzt (1976) von Ruth Beckermann, Josef Aichholzer und Franz Grafl. Langsam aber dröseln sich auch hier die Bezugspunkte auf, wenn aktuell ikonische Popgrößen wie Anja „Soap&Skin“ Plaschg und Anna F. den Weg in die Schauspielerei finden. Mit ein Grund für das Filmarchiv Austria, zurück in die erste große Welle des popkulturellen Erwachens Österreichs zu gehen, als zwischen Austropop, Agit-Rock, Mundartsongs und Neuer Deutscher Welle lokale Popgrößen den Weg auf die große Leinwand fanden wie weiland David Bowie und Elvis Presley.
(Paul Poet)
Coconuts (Franz Novotny, AT 1985, 90 min)
Coconuts ist gelebter Wahnwitz, ist ungezwungen größenwahnsinniger Schalk und Übermut, der das Unterhaltungskino erst wertvoll macht und vom schalen Fließbandprodukt unterscheidet. Franz Novotnys 1980er-Buddy-Action-Komödie ist der Versuch eines österreichischen Blockbusters – Explosionen, entblößte Körper und musikalische Einlagen inklusive. Charts-Darling Rainhard Fendrich gibt an der Seite von Legende Hanno Pöschl den Verlierer-Dude mit gepflegter Eddie-Murphy-Hysterie und verstrickt sich in eine aberwitzige Verfolgungsjagd rund um die Welt. Kino im puren Pop-Rausch. Mehr
Fehlschuss (Rainer Boldt, AT 1976, 115 min)
Wir schreiben die 1950er-Jahre in der noch sehr ruralen Wiener Vorstadt. Der Songwriter-Superstar des Austropop, Wolfgang Ambros, mimt seine einzige Film-Hauptrolle: einen weltschweren Fabriksarbeiter, der vom großen Ruhm als Fußballer träumt. Seine Freundin und Werkskollegin (Pola Kinski) sowie Franz Buchrieser als Strizzi und Preisboxer stehen ihm auf dem steinigen Weg bei. Ein samtweicher, verlorener Klassiker auf den Spuren von De Sica und Olmi. Fehlschuss, von dem nur noch das Originalnegativ existiert, wurde vom Filmarchiv Austria für die Diagonale komplett restauriert. Mehr
Ich oder Du (Dieter Berner, AT 1984, 93 min)
Ein grandioses Stück Rock-’n’-Roll-Existenzialismus aus Österreich, das den Style des französischen Genrekinos der frühen 1980er-Jahre mit dem Sozialrealismus der Siebziger mischt. Unfassbar: die Naturgewalt Hansi Lang als gefährlicher wie charismatischer
Junkie-Krimineller und New Wave-Sänger. Dieter Berner inszeniert ein dichtes, bildgewaltiges Moralspiel über eine unheilige Ménage-à-trois, in der Lang mit seiner authentisch gegebenen Furiosität, Zerbrechlich-, Widerwärtig- und Großmäuligkeit einen der größeren Auftritte von Musiker/innen in Spielfilmen markiert. Mehr