Kinomagazine gibt es ja viele. Sie sind so vielfältig wie das Kino selbst. Die meisten beschränken sich auf eine sichere Schiene und berichten über diverse Blockbuster, Mainstream-Formate oder einfach Filme die – dank übertriebener Medienpräsenz – sowieso jeder kennt, ob er will oder nicht.
Auf dem Artfilm Fest in Trenčianske Teplice (Slowakei), etwas über zwei Stunden Autofahrt von Wien entfernt, hörte ich zum ersten Mal von dem kleinen slowakischen Magazin KINEČKO. Gerade mal eineinhalb Jahre alt. Alle zwei Monate erscheinend. Man überreichte mir ein Exemplar als Begrüßungsgeschenk. Ein unaufdringlich gestalteter Umschlag, darin einige zusammengefaltete Seiten, die zu meiner Enttäuschung ausschließlich Texte in slowakischer Sprache enthielten. Schade, dachte ich. Gern hätte ich reingelesen. Aber da war ja noch etwas. Eine DVD. Wahrscheinlich für diverse Trailer, eventuell Werbung etc. Man muss sich ja finanzieren, schließlich ist der symbolische Preis von € 1,50 zu niedrig, um etwas Aufwändiges zusammenzustellen und auf Datenträger beizulegen. Doch siehe da: Studentenkurzfilme. Filmakademie Prag, HFF Potsdam, Londoner Royal College of Art. Und sonst nichts. Und das meine ich im positiven Sinn. Der Aufwand erscheint vielleicht nicht groß, aber Studierende freuen sich, wenn ihre Filme auf einer DVD erscheinen, und das Magazin kann damit einen Einblick in eine Filmszene geben, der sonst nur auf Festivals möglich wäre.
Monate später, neue Ausgabe. Ich bekomme zum Glück die DVD in die Hände. Experimentalfilme von 1919–1959. Mein Gedanke: Wow! Ein tolles Thema! Und mein Erstaunen wächst noch, als ich darauf einen der ersten Experimentalfilme überhaupt entdecke, aus dem Jahre 1919. Herrlich.
Das Magazin, mit Sitz in Bratislava, organisiert außerdem Partys für junge Filmliebhaber/innen und Filmemacher/innen, ebenso wie regelmäßige Vorführungen von Filmen aus aller Welt. Die Filmemacher werden dazu auf Kosten des Magazins eingeladen, um ihnen Publikumsgespräche und Interviews mit verschiedenen Medien zu ermöglichen. Ein mir bekannter junger Regisseur, Gust Van den Berghe, war mit seinem Film Blue Bird bei einem dieser Screenings vertreten. Für mich eine wunderbare Gelegenheit, ihn wieder zu treffen und endlich seinen Film zu sehen, was bisher immer an Terminverpflichtungen gescheitert war.
Gust und ich wurden in der Hauptstadt herumgeführt und zum Essen eingeladen. Sogar die Heiligen Hallen des „kleinen Kinos“ durften wir besichtigen. Wir wurden vorgewarnt: Es sei ein wirklich kleines Büro, von dem aus die Filmwelt erkundet und dem/der geneigten Seher/in oder Leser/in näher gebracht werde. Und das war keine Untertreibung: 9 Quadratmeter. Schreibtisch, Regal, Minicouch, eine Kaffeemaschine. Und man fühlt sich wohl. Keine unnötigen Ausgaben. Alle Ausgaben fließen in die Erhaltung des Magazins und die Vermittlung der Filme.
Wer macht das alles überhaupt möglich? Zwei junge Frauen, Eva Križková und Eva Pavlovičová. Etwa 27 Jahre alt. Das Herz und der Puls des ganzen Unternehmens. Zwei Cineastinnen, die aus purer Leidenschaft ebendiese weitervermitteln wollen. Perpetuum mobile. Mit einem kleinen Kernteam aus Redakteurinnen, Redakteuren, einer Fotografin und einer Grafik-Designerin. Sie bemühen sich um Subventionen von der Regierung, und das mit Erfolg, obwohl – und das muss ich leider hören – sie junge Frauen sind. Mir sind die Schwierigkeiten von Frauen – in eigentlich jeder Branche – bekannt, und dennoch entsetzen sie mich immer wieder. Als Mann verliert man dieses Thema einfach zu leicht aus den Augen.
Aber Eva und Eva erscheinen gelassen. Sie folgen ihrer Leidenschaft und lassen sich nicht verunsichern von den Reaktionen der Männer. Sie fahren einfach drüber. Ich höre die Geschichte mit Jan Švankmajer. Bei einem Festival wurde ihm KINEČKO vorgestellt, was er daraufhin mit „Die kleinen Mädels machen ein Magazin, wie nett.“ kommentierte. Er kaufte eine Ausgabe und begann zu lesen. Schon bald erkannte allerdings auch ein Herr Švankmajer anhand der Reportagen, dass er es hier nicht mit „kleinen Mädels“ zu tun hatte, sondern mit leidenschaftlichen, kompetenten Filmliebhaberinnen. Was ihm dann doch noch den Respekt abverlangte, der von Beginn an angebracht gewesen wäre. Ich freue mich über diese Geschichte. Eva und Eva bleiben weiterhin gelassen. Zu vieles dieser Art haben sie schon erlebt. Sie haben weiterhin das große Bild im Kopf. Und das ist größer als jede Leinwand. Film beginnt lange vor dem Screening und reicht weit über den Abspann hinaus. Nichts Neues für den Filmemacher oder den Filmliebhaber. Und auch nicht für KINEČKO. Die Leidenschaft will geteilt werden, das ist alles. Wer seinen eigenen Weg geht, kann auch nicht überholt werden, denke ich.
Vorführung von Blue Bird an diesem Abend. Die Screeningräume variieren immer. Ist kein Kinosaal verfügbar, wird die Technik von Freundinnen und Freunden, von denen jeder irgendetwas mit der Film- und Fernsehbranche zu tun hat, bereitgestellt. Alles, was halt möglich ist, fließt in die Organisation. KINEČKO kann begeistern. Feines Screening, langes Publikumsgespräch. Wir gehen was trinken, einige aus dem Publikum, KINEČKO, Gust und ich. Es wird über Film, die Welt und alles dazwischen diskutiert. Wir sind begeistert. Die Filmleidenschaft wird geteilt, und der Horizont erweitert. Das ist doch das Beste, was man von einem Kinomagazin erwarten kann.
Das „kleine Kino“ wächst weiter. Eva und Eva werken eifrig an den nächsten Ausgaben und wollen schon bald auch eine englische Version auf den Markt bringen. Dann kann ich endlich auch zu ihrem Leser werden. Und auf die nächste DVD freu ich mich sowieso.
Siehe auch KINEČKO