Diagonale
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Diagonale-Webnotiz 12/2010

von Andrea Seidling

 

arbeitet als Ausstellungskuratorin für das Architekturzentrum Wien (z.B. Platz da! European Urban Public Space, 14. Okt. 2010 bis 31. Jan. 2011, www.azw.at). Sie setzt sich schwerpunktmäßig mit den Schnittstellen von Architektur und Film auseinander, ist Filmessayistin für „akku“ und lotet als Mitglied der Künstlerinnengruppe Kuserutzky Klan aktionistisch Möglichkeiten der Verweigerung und der Selbstermächtigung aus.

„Da sehe ich Kunst als eine Möglichkeit und Aneignung“

Ein Gespräch mit Andrea Seidling, geführt von Daniela Ingruber, im Zusammenhang mit dem Projekt AUF DIE PLÄTZE, FERTIG – FILM! 13 x Projektionen in aller Öffentlichkeit (6. – 18. Oktober 2010, in der Weststeiermark)

Wie würden Sie den öffentlichen Raum definieren?

Ich beziehe mich zunächst auf Hannah Arendt,

die dem öffentlichen Raum eine noch immer sehr brauchbare Eigenschaftszuweisung gibt. Sie sagt, dass die Privatsphäre hierarchisch ist, der öffentliche Raum hingegen habe egalitär und unhierarchisch zu sein. Diese Unterscheidung zeigt den öffentlichen Raum als Aushandlungsort.

Der allen gehört?

Nicht unbedingt sofort, er ist aber zumindest ein Austragungsort von Aushandlung. Die gesetzliche Lage in Österreich und Mitteleuropa besagt, dass der öffentliche Raum wirklich allen gehört. Das Problem ist aber, dass er eigentlich privat und somit hierarchisch verwaltet wird. Auf den Punkt gebracht: Es gibt keinen öffentlichen Raum der als öffentlich charakterisiert werden kann.

Was leitet sich daraus für das Zusammenleben ab?

Der öffentliche Raum wird immer weiter privatisiert, es geht also darum zu sehen, was ein dritter Weg wäre. Da bin ich auf die Verwaltungs- möglichkeit des Commons gestoßen, wie sie bei öffentlichen Gütern diskutiert wird. Das bedeutet den öffentlichen Raum als öffentliches Gut zu betrachten.

Elinor Ostrom, die Wirtschaftnobelpreisträgerin 2009, hat herausgefunden, dass sich jedes Problemfeld eigene Spielregeln erarbeiten muss und dazu Kommunikation notwendig ist. Das ist bei der Commons-Debatte eine der Grundregeln: Die gemeinsame Verwaltung von Gütern oder öffentlichem Raum muss gemeinsam erarbeitet werden. Das schafft natürlich wieder neue Probleme, denn wie schafft man Aushandlungs- prozesse und vor allem persönliches Kennen, wenn mehr als 10.000 Menschen betroffen sind? Aber es geht v.a. um den Punkt der gemeinsamen Regelentwicklung. Und dass dieser für jedes Problem spezifisch ist.

Ebenso wichtig ist es, eine Beziehung zum Raum herzustellen. Und da sehe ich Kunst als eine Möglichkeit – auch als Aneignung. Das ist ja auch eine der Methoden von Bürgerinitiativen, auf einen Ort medial aufmerksam zu machen und sich damit überhaupt erst als Verhandlungspartner zu etablieren. Diese Aufgabe kann auch Kunst übernehmen.

Dann hat Kunst im öffentlichen Raum eine politische Funktion?

Absolut. Sie wird aber auch politisch missbraucht. Kunst bekommt dann diese Repräsentations- funktion, mit der sich alle schmücken und betonen wie fortschrittlich man ist, weil man es Künstlern erlaubt, etwas im öffentlichen Raum zu tun.

Film und Video werden im öffentlichen Raum ganz anders gesehen als im Kino. Werden sie im Öffentlichen Raum eher wie Bildende Kunst rezipiert?

Ich kenne sehr wenige Projekte, die überhaupt mit Video im öffentlichen Raum arbeiten. Vorwiegend aus technischen Gründen. Video ist präsenter in Form von Werbung oder auf Bildschirmen. Das Problem von Videos sehe ich eher in der technischen Umsetzung, auch in Bezug auf die Tageszeit und weil es nur an ausgesuchten Orten funktioniert und damit die Präsenz sehr gemindert ist.

Auch weil sie oft für Werbung gehalten werden?

Ja, weil die Konkurrenz dazu die Werbung ist, was ich persönlich gar nicht so schlimm finde. Denn auch die Form des Werbespots als narrative Erzählung finde ich großartig. Es gibt halt schlechtere und bessere.

Spannender finde ich das Drehen im Öffentlichen Raum. Auch wenn die Kamera nicht so groß ist, erregt man sofort Aufmerksamkeit. Es ist spannend, welche Kommunikation sich dadurch im öffentlichen Raum ergibt. Es gibt diese Überwachungsparanoia.

Kürzlich drehte ich mit einer Magistratsbeamtin am Praterstern und während wir uns noch überlegten, wo wir uns hinsetzen, kam die Security, die meinte, es sei hier „aber schon privat“. Die Magistratsbeamtin fragte: „Wieso? Wir stehen hier am Praterstern!“ Und er sagte, wir stünden zwei Meter daneben. Wir durften dann gnadenhalber dort bleiben.

Es gibt da die ganze Bandbreite von Kamera ignorieren, bis kamerascheu sein, bis sich absichtlich vor die Kamera stellen und Statements abgeben. Dabei sind Kameras inzwischen so präsent, allein durch die Videoüberwachungs- kameras und durch die Produktion von immer kleineren Kameras. Doch sobald eine Kamera auf einem Stativ steht, ein bisschen größer und ein bisschen schwärzer ist, hat sie noch immer dieses „Das ist fürs Fernsehen“.

Es geht um diese Spiegelung der Öffentlichkeit. Dass das Aufnehmen auf Video auch die Essenz der anderen, nämlich der medialen Öffentlichkeit ist. Man holt sozusagen die imaginäre Öffentlichkeit in die konkrete, reale Öffentlichkeit hinein.

Wo ist der reale Ort und wo der imaginierte? Ich hielt lange den imaginären Ort für den mächtigeren.

Ist er das nicht?

Durchaus. Im Zuge der Beschäftigung mit der kommenden Ausstellung Im Architekturzentrum hat sich mein Blickpunkt allerdings ein wenig verschoben.

Eine andere Wechselwirkung finde ich in diesem Zusammenhang spannend: Auch das „Filmbild“ einer Stadt ist ein imaginiertes Bild. Man kennt das ganz besonders von New York, wo aufgrund der immer wieder gesehenen Bilder eine Vertrautheit aufkommt, die auf nichts fußt. Dadurch ergibt sich eine Art Doppelbelichtung zwischen dem, was man wirklich erlebt und dem anerzogenen Bilderschatz.

Man kann sich dem nicht entziehen und muss um einen eigenständigen Blick erst kämpfen.

Wenn man all das wieder zurücknimmt zu Kunst und Video im öffentlichen Raum, in der Repräsentation, verändert das nicht auch wiederum den Ort an sich? Etwa wenn ich mich immer wieder auf einem Platz bewege und plötzlich wird dort ein Video gezeigt.

Ich sehe das eher als Kommunikation. Was ich als Ideal des öffentlichen Raums sehe ist, dass dort Handlungen stattfinden dürfen, v.a. sich verändernde Handlungen, wobei das oft verhindert wird, indem per Planung zugewiesen wird: Das hat dort zu passieren Mein Ideal des öffentlichen Raums lautet, dass er mehr als eine Handlung ermöglicht, sodass der Gebrauch nicht eindeutig zugewiesen ist. Deshalb ist das Ideal eigentlich der leere öffentliche Raum. Daher möchte ich nicht sagen, dass ein Video im öffentlichen Raum sofort eine große Veränderung bewirkt, sondern dass es eine dieser Möglichkeit(serweiterung)en ist, dass etwas stattfinden kann und es dafür Platz gibt.

Damit wird das Video nicht zum architektonischen Inventar.

Mit dem architektonischen Inventar habe ich sowieso meine Probleme, weil ich finde, Architektur kann in dem Fall, was öffentlichen Raum betrifft, sehr viel verhindern und gleichzeitig natürlich unterstützen, wobei die Unterstützung auch durch subtile Dinge gegeben ist. So habe ich erfahren, dass ältere Leute anscheinend zuweilen von Metall abgestoßen werden, weil sie sich zuwenig gut angezogen fühlen, um sich auf eine blitzende Metallbank zu setzen. Es geht um eine andere Planung, weil indirekt bestimmte Bevölkerungs- und soziale Gruppen ausgeschlossen werden, ohne dass man das beabsichtigt hat.

Bei Videos geht es darum freie Wandflächen zu finden. Auch das hat mit Architektur zu tun, dass die Möglichkeit da ist, der leere Raum, der dann mit Handlungen bespielt werden kann, die sich abwechseln und verändern können und dürfen. Oder dass man auch Planungen hat, die vielleicht anfangs gut funktionieren, aber sich nach zwei Jahren die Bevölkerungsstruktur, für die dieser Platz gedacht war, verändert, sodass jetzt ganz andere Dinge notwendig sind. Das geht natürlich einfacher, wenn es temporäre Interventionen sind, oder auch Mobiliar, das kaputt werden darf und nicht auf die Ewigkeit ausgerichtet ist.

So findet auch die Rezeption statt.

Genau, das kann nur die Angst vor der Leere sein. Deshalb ist es auch schwierig Videos im öffentlichen Raum zu zeigen, weil diese freien Flächen gar nicht da sind oder sehr aufwändig erzeugt werden.

Was ich dann wieder großartig finde, sind solche Dinge wie St. Balbach, die mit ihren aufblasbaren Kinostationen den öffentlichen Raum wirklich sehr verändern, wenn an einem einzigen Abend Kino geschaut wird und einem Publikum in Form eines Spektakels – ich habe überhaupt nichts gegen Spektakel – Kurzfilme nahe gebracht werden, die nie im Leben ins Kino gehen und Kurzfilme anschauen würden.

Da sind wir wieder bei der vorhin angesprochenen Kommunikation. Es geht also um eine Intervention, durchaus im positiven Sinne, die alle möglichen Interpretationen zulässt.

Ja, genau.

 

AUF DIE PLÄTZE, FERTIG – FILM! 13 x Projektionen in aller Öffentlichkeit ist ein Projekt der Diagonale und des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark. Mit Unterstützung der 13 Gemeindevertretungen sowie von Mediasystem.

http://www.oeffentlichekunststeiermark.at/

Die Diagonale-Webnotizen wurden von 2010 bis 2015 von der BAWAG P.S.K. unterstützt.

Der Standard ist Medienpartner der Diagonale-Webnotizen.
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