Diagonale
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Diagonale Webnotiz 4/2016

von Dina Yanni

 

Dina Yanni ist promovierte Politologin, hat Filmproduktion studiert und beschäftigt sich mit Repräsentationskritik und Bildpolitik.

Perspektiven auf Rassismus im Film

Ein Auszug aus der gleichnamigen Publikation
von Dina Yanni

Dina Yanni

Dina Yanni (c) privat

„Wer fremde Rassismen bekämpft, ist nicht davor gefeit, die eigenen zu übersehen.“
Araba Evelyn Johnston-Arthur; Andreas Görg (1)

In Österreich wird nicht gerne über Rassismus gesprochen. Hierzulande geht es um „Xenophobie“, „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Ausländerfeindlichkeit“. Diese Begriffe gehen leichter über die Lippen als der belastete Rassismusbegriff, der in Österreich dem Nationalsozialismus – und damit der Vergangenheit – zugeordnet wird (2). Die Begriffe „Phobie“ und „Feindlichkeit“ sind auch besser geeignet, um auf Ausnahmeerscheinungen oder böse Absicht Bezug zu nehmen und Rassismus damit von sich zu weisen (3). Rassismus kann so als Problem des „rechten Lagers“, der „Modernisierungsverlierer“ und des „Gemeindebaus“ betrachtet werden (4). Dagegen zieht die Rassismusforschung aber ganz andere Schlüsse: Rassismus ist tief in der Gesellschaft verwurzelt und daher im eigenen Alltag und Umfeld zu finden (5). Diese Erkenntnis erzeugt oft eine Abwehrhaltung, denn der Vorwurf des Rassismus wird als ein schwerwiegender empfunden (6). Tatsächlich kann aber niemand von sich ausschließen, selbst Rassismen zu produzieren.

Rassismus ist ein System von Benachteiligungen, das auf der Erfindung und der Überbetonung von Unterschieden aufbaut. Selbstverständlich sind alle Menschen in vielfacher Hinsicht unterschiedlich – doch im Falle rassistischer Unterscheidung werden aus dieser Vielzahl menschlicher Facetten einzelne ausgewählt und zu angeblich wichtigen Merkmalen der Unterscheidung erklärt (zB Hautfarbe, Herkunft) (7). Diese Unterschiede werden dann als Erklärung herangezogen, warum bestimmte Menschen bestimmte Dinge nicht können oder besonders gut können (8). Während gewisse Merkmale erfunden, willkürlich herausgeklaubt oder überbetont werden, werden individuelle Unterschiede, die zwischen allen Menschen bestehen, vernachlässigt (9). Die Mitglieder einer Gruppe werden nicht als Individuen mit unterschiedlichen Biografien und Talenten wahrgenommen, sondern als in sich einheitlich und durch ein oder mehrere „relevante“ Merkmale erkenn- und unterscheidbar (10).

Die Rassismusforschung fokussiert auf die Frage, warum bestimmte Menschen zu bestimmten Gruppen erklärt und einander als fremd gegenübergestellt werden (11). Diese angeblichen Unterschiede zwischen „uns“ und „den Anderen“ werden in Filmen nicht einfach nur wiederholt, vielmehr sind unter anderem Filme oft entscheidend daran beteiligt, Informationen über diese vermeintlich gut unterscheidbaren Gruppen überhaupt erst in Umlauf zu bringen. Das geschieht häufig über stereotype Darstellungen: wenn beispielsweise Menschen aus Ländern des globalen Südens als „arm, aber glücklich“ oder als von westlichem Fortschritt „unverdorben“ präsentiert werden. Oder wenn uns die Herkunftsländer von Migrant*innen als ländlich, schmutzig, unterentwickelt und beengend gezeigt werden und die westlichen Zielländer als urban, sauber, fortschrittlich und geprägt von Technologie. Die „Anderen“ werden als in vielerlei oder in jeglicher Hinsicht rückständig präsentiert: kindlich, primitiv, animalisch, unzivilisiert, traditionell, aber auch anziehend, weil „fremd“ und „exotisch“ (12). Es werden dann filmische Bilder produziert, die das Vorgefundene in die eigene (gesellschaftlich erlernte) Erwartungshaltung drängen – umgekehrt werden Bilder und Geschichten vermieden, die diese Erwartungshaltung irritieren. Auch wenn das oft nicht bewusst geschehen mag, zieht die als „wir“ verstandene Gemeinschaft einen Vorteil aus der Problematisierung der „Anderen“.

Filme sind Mittel der Kommunikation und Kommunikation ist immer verbunden mit Macht (13). Dessen ungeachtet sind wir daran gewöhnt, uns zurückzulehnen und Filme unkritisch zu betrachten – uns zu unterhalten. Das macht zu einem guten Teil die Macht von Filmen aus. Denn über Gefühle, Sehnsüchte und Ängste, die ein Film in uns auslöst, nehmen wir Informationen auf, häufen wir „Wissen“ an. Die Figuren auf Bildschirm und Leinwand, die wir bewundern oder verachten, mit denen wir lachen und weinen, denen wir uns nahe fühlen oder die uns fremd sind, haben Einfluss auf unser Leben. Sie helfen uns dabei zu bestimmen, wer wir sind, wie wir sein wollen und wie wir die Welt um uns herum betrachten (14).

Weil Unterscheidungen zwischen „uns“ und den „anderen“ oft nicht zurückverfolgt oder in Frage gestellt werden, sind sie unantastbar und verleihen Macht in alle Richtungen: Gestaltungsmacht, Entscheidungsmacht, Definitionsmacht. Wer in Filmen wie dargestellt wird, wer wie welche Entscheidungen treffen darf und wer was wie deuten oder sagen darf (15), sind keine Zufälle, sondern Machtverhältnisse. Gleichzeitig sind Machtverhältnisse immer da am wirkungsvollsten, wo sie am wenigsten wahrgenommen werden (16).

„If she can see it, she can be it“ heißt eine Kampagne des Geena Davis Media Institute (17). Die Kampagne verdeutlicht die Verbindung zwischen der Existenz medialer Bilder und der Entwicklung von Identität: Wer häufig und positiv in Filmen dargestellt wird, nimmt eine gänzlich andere Rolle in der Gesellschaft ein als jemand, der oder die in einem negativen, stereotypen Licht repräsentiert wird oder grundsätzlich in Nebenrollen in Erscheinung tritt. Häufig sind gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen überhaupt erst möglich, weil stereotype Bilder als gesellschaftlich anerkanntes „Wissen“ verbreitet werden. So muss etwa Arm-Reich-Gefällen nicht auf die Spur gegangen werden, wenn Wohlstand und Armut als „natürlich“ und als „ihre“ bzw. „unsere“ Art zu leben präsentiert werden. Schließlich entscheidet die Existenz bestimmter Bilder nicht nur darüber, wie wir über andere denken, sondern auch darüber, wie wir über uns selbst denken (18).

Wie in allen anderen Lebensbereichen auch kann Rassismus in Filmen sehr deutlich auftreten oder aber erst auf den zweiten Blick erkennbar werden. Rassismus ist in den unterschiedlichsten Filmen und in allen möglichen Genres zu finden: im Hollywood-Blockbuster genauso wie im künstlerischen Experimentalfilm. Hollywoodfilme werden allerdings nahezu überall auf der Welt gesehen und verteilen so ihr Wertesystem, ihre Schönheitsnormen, ihre Definitionen von Glück und Erfolg über den ganzen Globus. Die Hollywoodindustrie setzt nicht nur Maßstäbe für kommerzielle Filmproduktionen überall auf der Welt, sie ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie leise, aber beharrlich Rassismus in Filmen wirken kann. Dazu genügt schon ein Blick auf die überwältigende Mehrheit von weißen Schauspieler*innen, Drehbuchautor*innen und Regisseur*innen, die der Bevölkerungszusammensetzung in den USA diametral entgegensteht. Doch auch Hollywoods „Black Cinema“ ist nicht frei von Rassismus und setzt oft auf stereotype Darstellungen Schwarzer Menschen, die das weiße Amerika in seiner Sichtweise bestätigen und beruhigen. Ähnliches kann dem „Migrantenkino“ im deutschsprachigen Raum attestiert werden. Alleine die Existenz marginalisierter, nicht-weißer Personen in oder ihre Beteiligung an einem Film spricht einen Film noch nicht von Rassismus frei.

Rassismus ist ein systemisches Problem, das so lange reproduziert wird und in Filmen zum Ausdruck kommt, solange angenommen wird, man selbst habe damit nichts zu tun (19). Die Intention eines Films kann dabei eine völlig andere sein als die Art und Weise, wie der Film tatsächlich aufgenommen und verstanden wird. Filme werden entsprechend gesellschaftlichen Diskursen, Ereignissen und Symbolen interpretiert und nicht zwingend danach, was der oder die Filmemacher*in damit bezweckt hat.

Rassismus in den eigenen Filmprojekten zu vermeiden erfordert Reflexion und strukturelle Veränderungen (20): etwa sich selbst nicht auszunehmen von den Strukturen, die Rassismus ermöglichen. Oder die Bereitschaft, eigene Privilegien, Entscheidungsmacht und Ressourcen zugunsten der Handlungsmöglichkeiten marginalisierter Menschen abzugeben. Oder aber die Umsetzung gleichberechtigter Formen der Zusammenarbeit anstelle einer Vereinnahmung von Migrant*innen für eigene Profite. Und schließlich insbesondere eine produktive Auseinandersetzung mit entsprechender Kritik an den eigenen Projekten.

Weiterführende Links
Perspektiven auf Rassismus im Film (vollständige Publikation)
Diagonale Dialog 2005 – Here to Stay!

Quellenverweise
(1) Johnston-Arthur, Araba Evelyn; Görg, Andreas (2000). „Campaigning against racism“, in: Kurswechsel. Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen, 1/2000 – „Antirassismus. Positionen und Widersprüche“: Wien: 30.
(2) Röggla, Katharina (2012). „Critical Whiteness Studies und ihre politischen Handlungsmöglichkeiten für Weiße AntirassistInnen. Intro. Eine Einführung“, Mandelbaum Kritik & Utopie: Wien: 11.
(3) Arndt, Susanne (2012). „Die 101 wichtigsten Fragen: Rassismus“, C. H. Beck: München: 31.
(4) Johnston-Arthur, Görg 2000: 29.
(5) Johnston-Arthur, Görg 2000; Attia, Iman (2014). „Rassismus (nicht) beim Namen nennen“, in: Bundeszentrale für politische Bildung (bpd), Rassismus und Diskriminierung, 18.3.2014, http://www.bpb.de/apuz/180854/rassismus-nicht-beim-namen-nennen?p=all (abgerufen am 20.7.2016).
(6) Attia 2014.
(7) z.B. Sow, Noah (2009). „Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus“, Wilhelm Goldmann Verlag: München: 26ff., 200.
(8) Arndt 2012: 32.
(9) Attia, Iman (2012). „Konstruktionen mit realen Folgen. Rassismus ist kein Vorurteil, sondern ein gesellschaftliches Machtverhältnis.“, in: Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag e. V. (Hg.). „Wer andern einen Brunnen gräbt … Rassismuskritik//Empowerment//Globaler Kontext“, Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag e. V.: Berlin: 12-13: 12.
(10) Ebd.
(11) Attia 2014.
(12) Hall, Stuart (2004). „Das Spektakel des ,Anderen‘“, in: Koivisto, Juha; Merkens, Andreas (Hgg.). „Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4“, Argument Verlag: Hamburg: 108-166: 112.
(13) Hall, Stuart (1997). „Representation & the media“, video lecture transcript, Media Education Foundation: S. 3, https://www.mediaed.org/assets/products/409/transcript_409.pdf (abgerufen am 20.7.2016).
(14) Brand, Rebecca (2012). „,If she can’t see it, she can’t be it‘: why media representation matters“, in: the guardian, Women in Leadership/Inspiring leaders, 12.11.2013, http://www.theguardian.com/women-in-leadership/2013/nov/12/media-representation-matters (abgerufen am 20.7.2016).
(15) Nguyen, Toan Quoc (2014). „,Offensichtlich und zugedeckt‘ – Alltagsrassismus in Deutschland“, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Dialog, Webtalk Alltagsrassismus, 6.11.2014, http://www.bpb.de/dialog/194569/offensichtlich-und-zugedeckt-alltagsrassismus-in-deutschland (abgerufen am 21.7.2016).
(16) Basaran, Aylin (2011). „Create your Reality. Zur versteckten Macht der filmischen Sozialreportage“, in: derstandard.at, Kultur/Film, 21.11.2011, derstandard.at/1319182943917/Textspende-Kulturrisse-Create-your-Reality (abgerufen am 21.7.2016).
(17) Geena Davis Institute on Gender in Media (2016). „Geena Davis Institute on Gender in Media – See Jane“, http://seejane.org (abgerufen am 21.7.2016)
(18) Johnston-Arthur, Araba Evelyn (2005). „das ideologische Wesen der Bilder dekolonisieren“. Ein Gespräch zu antirassistischen Bildpolitiken mit Araba Evelyn Johnston-Arthur (Kulturwissenschaftlerin und Aktivistin) und Jo Schmeiser (Künstlerin und Autorin); die Fragen stellten Nora Sternfeld und Jens Kastner, 15.8.2005, graswurzelrevolution 303 november 2005, http://www.graswurzel.net/303/bilder.shtml (abgerufen am 21.7.2016).
(19) Marron, Dylan (2015). „Meet Dylan Marron, the actor and playwright behind those ‘every single word spoken by a person of color‘ YouTube videos“, in: The Washington Post, Interview, Dylan Marron im Gespräch mit Soraya Nadia McDonald, 10.7.2015, https://www.washingtonpost.com/news/arts-and-entertainment/wp/2015/07/10/meet-dylan-marron-the-actor-and-playwright-behind-those-every-single-word-spoken-by-a-person-of-color-youtube-videos/ (abgerufen am 21.7.2015).
(20) im Folgenden: Schmeiser, Jo (2005). „Aufbrüche, Ausblicke und Stand-Punkte“, Interview mit Jo Schmeiser von Klub Zwei (Simone Bader und Jo Schmeiser), im Gespräch mit Araba Evelyn Johnston-Arthur, 7.4.2005, in: Diagonale Dialog 2005 „Here to Stay“, http://2005.diagonale.at/dia-log/main.jart@rel=de&reserve-mode=&wl3=1112815465427.htm (abgerufen am 21.7.2016).

 

 

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