Out
Dokumentarfilm, US 1957, Schwarzweiß, 26 min., eOF
Diagonale 2020
Regie: Lionel Rogosin
Buch: John Hersey
Kamera: Gerald Gregoire, Lionel Rogosin
Schnitt: Alexander Hammid
Weitere Credits: Produktionsaufsicht: Thorold Dickinson
Produktion: United Nations Film Board
Koproduktion: Office of Public Information
Drei dokumentarisch inspirierte Arbeiten, die das Leben auf der Flucht und als Displaced Person im Lager auf sehr unterschiedliche Art und Weise beleuchten: einmal ein unbearbeitetes Dokument des US Army Signal Corps vom April 1945, dann ein Kurzfilm im Auftrag der Vereinten Nationen über die Ungarnkrise 1956 und das Flüchtlingslager Traiskirchen und schließlich ein Rückblick des großen Avantgardefilmers Jonas Mekas auf seine Jahre als Displaced Person in Deutschland.
Dieser Film wäre bei der Diagonale'20 im Kurzfilmprogramm „Displaced Persons“ im historischen Special Displaced Persons zu sehen gewesen.
Zum Auftakt: ein kurzer Film aus dem United
States Holocaust Memorial Museum, aufgenommen
noch vor Kriegsende im April 1945 im DP-Camp im
deutschen Menden. Gezeigt wird der Alltag im Lager,
die Essensausgabe (8.00 bis 10.00 Uhr und 16.30 bis
18.30 Uhr), die medizinische Untersuchung ausgemergelter
Männer, junge Frauen, die mit DDT entlaust
werden, Rot-Kreuz-Mitarbeiter/innen und Szenen von
heiteren Situationen, etwa beim Fußballspielen. Ein
außergewöhnliches Dokument.
Der aus Litauen gebürtige Jonas Mekas blickt
in Reminiszenzen aus Deutschland zurück auf seine
eigene Geschichte, das Leben als Displaced Person,
das er und sein Bruder Adolfas führten. 1944 müssen
sie ihr Heimatland verlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt
war Jonas als Redakteur tätig gewesen, hatte sich im
Widerstand gegen die deutschen Besatzer engagiert
und eine Untergrundzeitung herausgegeben. Als die
Nazis die Familie bedrohen, versuchen Adolfas und
er, sich nach Wien abzusetzen. Die geplante Flucht
misslingt, die Brüder werden festgenommen und
nach Hamburg-Elmshorn in ein Zwangsarbeitslager
verbracht. Nach acht Monaten brechen sie aus, verstecken
sich auf einem Bauernhof an der dänischen
Grenze und finden nach Kriegsende in verschiedenen
Flüchtlingslagern, u. a. in Kassel, Aufnahme.
Im Oktober 1949 emigrieren sie nach New York.
Einer der Auslöser dafür, behauptete Mekas später,
dass er zum Filmemachen kam, sei Fred Zinnemanns
The Search (1947/48) gewesen. „Ich und mein Bruder
sahen den Film, und wir haben uns sehr darüber
aufgeregt, wie wenig er von der wirklichen Situation
widerspiegelte, davon, was es heißt, displaced zu sein.
Das war der Moment, als wir beschlossen haben, unsere
eigenen Filme zu machen.“
Für Reminiszenzen aus Deutschland hat Mekas
die Orte von damals wieder aufgesucht und gefilmt.
Die dabei entstandenen Bilder unterlegt er mit Auszügen
aus seinen Tagebüchern, philosophischen Überlegungen
und Zitaten aus Werken des deutschen
Trümmerliteraten Wolfgang Borchert.
Out wurde 1956 in einem Lager in Traiskirchen
aufgenommen. „Man sagte mir“, so Thorold Dickinson,
der Leiter des UN-Film-Departments, „‚Der
Ungarnaufstand ist jetzt in allen Zeitungen, aber
in ein paar Wochen wird die Geschichte tot sein.
Und dann muss der Film herauskommen, um die
Geschichte am Leben zu erhalten.‘ Von dem Moment,
als ich den Auftrag für den Film erhielt, bis zu dem
Augenblick, an dem er auf der Leinwand zu sehen
war, vergingen keine 35 Tage.“
Menschen zu Fuß, nur mit dem Nötigsten am
Leib, ohne Gepäck, bahnen sich müde und erschöpft
ihren Weg durch Gestrüpp; die Jungen stützen die
Alten, die Eltern tragen die Kinder, eine schier endlose
Kolonne verzweifelter Flüchtlinge. Der Ungarnaufstand,
die Rebellion der demokratisch Gesinnten
gegen das Sowjetregime, war wenige Tage zuvor
gescheitert, die Volksrepublik in Budapest war
gestürzt, die Okkupation begonnen worden. Hunderte
hatten in der Hauptstadt den Tod gefunden,
Tausende sind auf der Flucht. Sie schlagen sich ins
benachbarte Österreich durch, marschieren tagelang,
um hinter der Grenze sicheren Boden zu erreichen.
Eine Welle der Hilfsbereitschaft schlägt ihnen
entgegen: Helfer/innen warten am mit rot-weiß-roten
Fahnen markierten Grenzverlauf, entzünden
des nachts Feuer, lassen Rettungsboote zu Wasser,
kümmern sich um den Weitertransport, sammeln
Geld, Kleidung, Schuhe, Nahrungsmittel, bieten
Notquartiere. In eines davon, das Auffanglager bei
Traiskirchen, begleiten wir Maria, eine Frau mit zwei
kleinen Kindern.
(Katalogtext, Brigitte Mayr, Michael Omasta)
Kurzfilmprogramm „Displaced Persons“
Displaced Persons (R: United States Army Signal Corps, US 1945)
Reminiszenzen aus Deutschland (R: Jonas Mekas, DE 1971/93)
Out (R: Lionel Rogosin, US 1957)