Sonnenstrahl
Spielfilm, AT 1933, Schwarzweiß, 87 min., dOF
Diagonale 2021
Regie: Paul Fejos
Buch: Adolf Lantz nach einer Idee und einem Manuskript von Paul Fejos
Darsteller:innen: Annabella, Gustav Fröhlich, Paul Otto, Hans Marr, Walter Brandt u. a.
Kamera: Adolf Schlasy, Adolf Weith
Schnitt: Lothar Wolff
Originalton: Alfred Norkus
Musik: Sándor von Szlatinay, Ferenc Farkas, René Stil
Wien, Anfang der 1930er-Jahre. Die Weltwirtschaftskrise fordert auch hierzulande ihre Opfer. Der arbeitslose Chauffeur Hans rettet Anna, die sich aus Verzweiflung in dunkelster Nacht in den Donaukanal gestürzt hat, vor dem Ertrinken. Über Gelegenheitsarbeiten finden beide langsam den Weg zurück in die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Eine lichte Sozialutopie, ein Märchen von der proletarischen Solidarität in den modernen Städten, im Roten Wien.
Wien, Anfang der 1930er-Jahre. Die Weltwirtschaftskrise
fordert auch hierzulande ihre Opfer.
Hans, ein arbeitsloser Chauffeur, rettet Anna, die
sich aus Verzweiflung in dunkelster Nacht in den
Donaukanal gestürzt hat, vor dem Ertrinken. Von nun
an wollen sie gemeinsam durchs Leben gehen. Über
Gelegenheitsarbeiten finden sie langsam den Weg
zurück in die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Als das
große Glück winkt, droht ein Schicksalsschlag alles
zu zerstören.
(Katalogtext, Florian Widegger)
Am Ende regnet es vom Himmel her Geld in
die aufgespannte Schürze der jungen Frau. Gerade
noch schien ihr Unglück besiegelt, nun fliegen ihr
von Balkonen und Fenstern des riesigen Gemeindebaus
Münzen zu, hart Erspartes und – zum Glück
ist Zahltag – mühsam Verdientes. Sparschweine
werden zerschlagen und zerschlissene Geldbörsen
durchsucht, um die ausstehende Rate für das Taxi zu
bezahlen, das der jungen Mitbewohnerin und ihrem
Ehemann nach vielen gescheiterten Versuchen zu
einer bescheidenen, aber soliden Existenz verhelfen
soll. Eine Apotheose proletarischer Solidarität im
Roten Wien – so lobte der Kritiker der Arbeiter-Zeitung
den Film Sonnenstrahl anlässlich der Premiere
am 15. Dezember 1933; ein Symbolbild des „wirklichen“
Wiens abseits der üblichen nostalgischen
Filmklischees, das „neue“ Wien der „großen, sonnendurchfluteten
Höfe“ und „lichten, gesunden Wohnungen
der Wiener Gemeindehäuser“.
Tatsächlich läuft der Film parallel zu den großen
Erzählungen und utopischen Entwürfen seiner Zeit
und verhandelt, diesen vergleichbar, sowohl die
Spannungen zwischen einer neuen, von Medien und
Beschleunigung imprägnierten Subjektivität und
gesellschaftlichen Reintegration durch Social Engineering
als auch durch eine neue visuelle Kultur. Sonnenstrahl
wird von der Formensprache, den Designs
und dem visuellen Stil des Bauhaus inspiriert, dem
letzten Versuch, durch eine produktionsseitige Synthese
von Technik, Künsten und Alltagsleben zu einer
„rationalen“ Lebensführung zu gelangen.
Regisseur Paul Fejos nimmt dieser Welt gegenüber
– so wie die Massen der sozialdemokratischen
Wähler/innen, deren Erwartungshorizonte mehr als
durch politische Manifeste und statistische Tafeln
vom Radio und im Kino konturiert werden, eine ambivalente
Haltung ein. Nicht im moralischen, sondern
im politischen Sinn. Der Gemeindebau ist in Sonnenstrahl
nicht Refugium und auch nicht Gegenort zum
hyperurbanen Raum. Eher ist er ein temporäres Asyl
für diejenigen, die sich für die moderne Stadt, für den
Traumzustand, wieder fit machen müssen, ein Zwischenlager
für die Mitglieder eines Streichquartetts
oder eben für den angehenden Taxichauffeur, den
Repräsentanten des neuen (urbanen) Mittelstandes.
Der hoch regulierte Raum des Roten Wien, der
seinen Bewohner/innen kaum eigensinnige Handlungen
gestattet, hat am Ende eine kompensatorische
Aufgabe für die energetische und Ressourcen
verschlingende Großstadt zu erfüllen. Er sichert das
„nackte Leben“, die Reproduktion, die sich in der
unüberschaubaren Kinderschar manifestiert.
Das „wirkliche“ Leben allerdings folgt nicht den
Vorgaben der Sozialtechnokratie, so wie es keinem
Souverän folgt, sondern bewegt sich nach dem
Modus eines Films, in dem die alltäglichen Dinge
durch die Imaginationskraft der Individuen und die
Tricks von Kamera, Montage und Schnitt verändert
werden, wo „ein Auto nicht schwerer wiegt als ein
Strohhut und die Frucht am Baum so schnell sich
rundet wie die Gondel eines Luftballons“, wie Walter
Benjamin schreibt. In diese Welt werden Anna und
Hans zurückkehren, verlassen sie den Gemeindebau
mit dem endlich abbezahlten Taxi.
(Siegfried Mattl, „In der fluiden Stadt. Sonnenstrahl und die
Produktion anderer Räume im Roten Wien“, in: Elisabeth
Büttner (Hg.), Paul Fejos. Die Welt macht Film, Wien 2004.)