Motorcity
Dokumentarfilm, AT 2021, Farbe, 86 min., OmeU
Diagonale 2021
Regie, Buch, Kamera, Schnitt: Arthur Summereder
Musik: Mike Banks, Cornelius Schwehr
Weitere Credits: Künstlerische Mitarbeit: Alejandro Bachmann, Daniela Zeilinger
Produzent:innen: Arthur Summereder
In Detroit donnern die Motoren. Arthur Summereder ist angereist, um der lokalen Drag-Racing-Szene nachzuspüren. Die aufwendig frisierten Fahrzeuge erreichen binnen kürzester Zeit gewaltige Geschwindigkeiten, ein Rennen währt nur wenige Sekunden. Eine magische Spanne, in der sich gegenwärtiges und vergangenes Detroit möglicherweise überlagern. Der Sport gerinnt zum „puristischen Manifest“, dessen Jünger/innen die Gesetzmäßigkeiten von Raum und Zeit an ihre Grenzen treiben.
„Einatmen, verdichten, explodieren, ausatmen. Bei acht Zylindern detonieren immer zwei auf einmal. Die Nockenwelle bestimmt den Rhythmus“, kommentiert Arthur Summereder. Die kurzen Sätze besitzen eine eigene, manchmal harte Poesie, die zum Geschehen von Motorcity passt. Summereder, österreichischer Regisseur und gleichwohl Fan schneller Autos, ist nach Detroit gereist, um der lokalen Drag-Racing-Szene nachzuspüren. Schon beim Passieren der US-Landesgrenzen begegnet man ihm mit Skepsis, reserviert ihm aber auch ein paar Sendesekunden im Fernsehen. Später, bei einem nächtlichen, vermutlich illegalen Rennen, warnt man ihn vor den „big dogs“ – wichtigen Protagonist/innen der Szene, die sicher kein Interesse daran haben, Teil von Summereders Recherche zu werden.
Aufgeschlossener sind da schon John Quick und Karri Anne Beebe, ihres Zeichens „die schnellste Frau von Michigan“. Mit Quick vebringt der Filmemacher sogar Silvester in dessen Werkstatt: Ein Auto muss fertig werden, das nächste Rennen steht vor der Tür. Quick nehme keine Drogen und trinke nicht – nur das Drag Racing, das habe es ihm angetan. Oder wie Lil Carter, Teil der Crew Carter & Son Racing, es vielleicht fassen würde: „They’ve got the bug, the race bug has bit again.“
Motorcity trifft so manche/n, die/den jenes Insekt gebissen hat. Darunter auch solch prominente Figuren wie Mike Banks, Mitbegründer des legendären Techno-Labels Underground Resistance. In einem aggressiven Monolog verbindet er Techno, Rennsport und die Geschichte Detroits miteinander. Und setzt sogar noch einen drauf, indem er eine europäische Außenperspektive skizziert, die elitär sei und nichts mit der Wirklichkeit zu tun habe. Beim Drag Racing gebe es nichts Romantisches.
Auch Summereder versteht die kurzen Rennen, deren Dauer sich auf nur wenige Sekunden erstreckt, als „puristisches Manifest“, das gleichsam viel vom US-amerikanischen Selbstverständnis erzählt: „Den Motor aufdrehen, bis er platzt. Eine Parabel ohne Scheitel. Wird die Kurve zu steil, kann man von vorne beginnen.“ Dass das nicht stimmen kann, auch davon handelt Motorcity: vom Auf- und Abstieg einer Industrie, von General Motors und von einer Stadt wie Detroit, die es nach und nach zerschlagen hat – von den einst zwei Millionen Einwohner/innen sind nur noch 600.000 übrig.
Eine Zeitenwende kündigt sich ebenfalls im Drag Racing an. Karri Anne Beebe sagt, mit manueller Schaltung könne man heute kein Rennen mehr gewinnen; Lil Carter befindet, Turbolader hätten das Lachgas-System abgelöst. In Motorcity begegnen sich Vergangenheit und Gegenwart, kulminieren im exzessiven Sprint, wo es für Millisekunden möglich scheint, überall gleichzeitig zu sein.
(Katalogtext, cw)