LE FORMICHE DI MIDA
Innovatives Kino, AT/IT 2023, Farbe, 75 min., 22.3. OmdU / 24.3. OmeU
Diagonale 2023
Regie, Buch: Edgar Honetschläger
Darsteller:innen: Giancarlo Camurani, Ignazio Cancedda, Roberto Fia, Peppe Gnochetto, Lampino (Donkey), Elena Mosconi, Giovanna Mosconi, Renato Mosconi, Alessandro Twombly, Anna Teresa Rossini
Kamera: Fabrizio Farroni
Schnitt: Thomas Woschitz, Edgar Honetschläger
Originalton: Azzurra Stirpe
Musik: Luca di Volo, Eleonora Tassinari
Sounddesign: Silvia Moraes
Szenenbild: Carlo Brignola
Kostüm: Marlene Blumtritt
Weitere Credits: GIANLUCA CAPPELLETTI gaffer
RENATO CHIOCCA assistant director
STEFANO DILI production assistant
ARIANNA FERRI make up
ANDREA ANTONIELLA animal manager
Produzent:innen: Edgar Honetschläger
Produktion: EDOKO INSTITUTE FILM PRODUCTION GMBH
Edgar Honetschläger begibt sich auf eine mythologisch-philosophische Suche nach neuen Erzählweisen unseres Verhältnisses zur Natur. Ihm dabei behilflich sind sprechende Ameisen, Nymphen, Bauern und ein erzählender Esel, der das menschliche Streben auf Erden ad absurdum führt. Derart findet der Film nicht nur unverbrauchte Bilder für die großen Krisen unserer Zeit, er macht auch eine Sehnsucht nach anderen Zivilisationsformen und Wertesystemen greifbar.
Edgar Honetschläger hätte sich weniger vornehmen können als diese in Mythologie und Philosophie getränkte Weltgeschichte des menschlichen Verhältnisses zur Natur. Dann aber hätte er nicht gesehen, was uns so viel mehr betrifft, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Zum Beispiel Dryaden, die einsam auf Ästen sitzen, oder Ameisen, die sich über den Stumpfsinn der Menschen unterhalten. Er hätte die vertrocknende Erde übersehen, die Selbstherrlichkeit weißer Macht und den Mann, der auf alles schießt, was er nicht kennt. Er hätte kaum vermocht, das Abhandenkommen der Welt so episch mit dem menschlichen Streben nach Reichtum und Macht zu verknüpfen. Er hätte keine Bilder für die großen Krisen unserer Zeit gefunden. Als eine Art filmische Metamorphose für das sogenannte Anthropozän folgt der Film einer Spirale menschlicher Selbstauslöschung. Die bei Ovid so entscheidenden Verwandlungen betreffen hier weniger die Wesen und die Natur selbst als unsere stets problematische Beziehung zu ihnen. Von Phaetons fatalem Flug mit dem Sonnenwagen, der die Welt in Brand setzt, bis zur „Flüchtlingskrise“ und zur kapitalistischen Ausbeutung der Natur bestreiten verspielt inszenierte Vignetten einen erstaunlich zusammenhängenden Bogen. Erstaunlich, weil die Präsenz von Mythen, auftretenden Chören und sprechenden Lebewesen sich völlig nahtlos in die von Laiendarsteller*innen bevölkerten und mit sinnlicher Wachsamkeit gefilmten Landschaften des italienischen Latium einfügt.
Honetschläger zeigt, dass die ältesten Geschichten auch heute alles enthalten, was wir zu sagen haben. Nur sind es nicht hauptsächlich die Götter und Göttinnen, die unserem Scheitern auf Erden beiwohnen, es sind die Tiere und die Pflanzen. Ein Esel tritt beispielsweise als Erzähler auf. Durch ihn und all jene, die unterdrückt werden, blickt der Film zurück auf Menschen, die dafür verantwortlich sind. Auf uns also. Der Mensch interpretiert hier nicht sein Schicksal, der Mensch ist das Schicksal der Erde. So konfrontiert mit dem Versagen des Homo sapiens, könnte man glauben, es handle sich um einen niederschmetternden Film. Aus den Bildern aber spricht nicht nur augenzwinkernde Ironie, sondern auch eine hoffnungsvolle Sehnsucht nach anderen Zivilisationsformen, anderen Weisen, mit der Natur zu leben. Gerade weil die Nymphen noch immer unter uns weilen und aus den Gesten der Bauern nach wie vor ein möglicher Widerstand spricht, ist es noch nicht zu spät. Midas muss sich nicht immer für das Gold entscheiden.
(Katalogtext, ph)