Anqa
Dokumentarfilm, AT/ES 2023, Farbe, 91 min., OmeU
Diagonale 2024
Regie: Helin Çelik
Kamera: Raquel Fernández Núñez AEC
Schnitt: Sara Fattahi
Originalton: Maitane Carballo Alonso, Lara Zakhour
Musik: Nadim Husni, Victor Jann Nasri Bahdousheh
Sounddesign: Nicolás Tsabertidis
Produzent:innen: Rebeca Sánchez López, Helin Çelik
Produktion: Kepler Mission Films
Manchmal werden die Vorhänge beiseitegeschoben, um etwas Licht ins Innere des Hauses zu lassen, geöffnet werden die Fenster nur selten. Dunkel ist es, wo die drei jordanischen Frauen leben. Vor der Außenwelt sind sie in Sicherheit, doch vor der Erinnerung an die erlittenen Gewalterfahrungen gibt es auch hier kein Entkommen. Nahaufnahmen machen nicht nur Augenringe sichtbar, sondern lassen die Frauen aus dem Schatten ihres Traumas heraustreten: „Ich bin nicht das, was übrig geblieben ist, ich existiere.“
Zu Beginn eine Landschaft im Nebel, ein letztes Mal draußen, ein letztes Mal Weitblick, bevor es in die schummrigen Innenräume geht. Verhangene Fenster in Wohnungen, von denen man nicht weiß, ob es mehrere sind oder nur eine. Hier leben die Protagonistinnen des Films. Drei jordanische Frauen, die gemeinsam mit ihren Kindern im Haus bleiben, immerzu drinnen, an einem unbestimmten Ort. Auch die Identitäten der Frauen und wie genau sie dorthin kamen, wo sie nun sind, bleiben unbekannt.
In Bruchstücken erzählen sie von der Gewalt, die sie erfahren haben, von Vergewaltigung und Folter. Zwar scheinen sie nun vor der Außenwelt in Sicherheit, aber ihre Augenringe machen deutlich, dass es auch hier für sie kein Entkommen vor den traumatischen Erlebnissen der Vergangenheit gibt. Dass in Anqasowohl auf der narrativen als auch auf der bildlichen Ebene vieles im Dunkeln bleibt, dient auch dem Schutz der Protagonistinnen vor zudringlichen Fragen, die zu sehr am Unsagbaren rütteln würden. Stattdessen setzt Helin Çelik in ihrem Langfilmdebüt auf Fragmentierung: eine Strategie, die sich als wirkungsvoll gegen die bloße Reproduktion von Gewalt erweist; eine Poetik, die sich keine Nachvollziehbarkeit des Erlebten anmaßt.
Die Bildgestaltung (Raquel Fernández Núñez) arbeitet dem gekonnt zu: Die Flamme des Gasherdes flackert in ihrer Alltäglichkeit brutal auf, der Ventilator lässt nicht nur Luft zirkulieren, sondern auch Erinnerungen, das Eincremen von Kinderfüßen schafft einen vertrauten, fast seltsam anmutenden Moment. Und immer wieder zeigen extreme Close-ups die müden Gesichter der Frauen. Es sind Nahaufnahmen, die sich nicht um eine falsche Zugänglichkeit bemühen und dennoch die Protagonistinnen aus dem Schatten ihrer Traumata heraustreten lassen. (Eva Königshofen)