Night of the Coyotes
Dokumentarfilm, AT/DE 2024, Farbe, 79 min., OmdU
Diagonale 2024
Regie, Buch: Clara Trischler
Kamera: Miriam Ortiz Guzmán
Schnitt: Marielle Pohlmann
Originalton: Baruch Arias
Musik: Anna Ljungberg
Sounddesign: Tilman Eberle
Produzent:innen: Florian Brüning, Thomas Herberth
Produktion: Horse&Fruits
Koproduktion: RBB – Rundfunk Berlin-Brandenburg (DE),
Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf (DE)
El Alberto, 1000 Kilometer von der US-amerikanischen Grenze entfernt, ist Austragungsort einer makabren Simulation. Hier können zahlungswillige Tourist:innen sich einen Eindruck von einem illegalen Grenzübertritt machen – Schlepper:innen, knappe Wasservorräte und fingierte Vergewaltigungen inklusive. Clara Trischler dokumentiert das Event, verwebt es jedoch sensibel und bildstark mit den Erzählungen einer indigenen Gemeinde, die zwischen Traum und Trauma ihren eigenen Weg sucht.
Manchmal erinnern nur verlassene Häuser an jene, die verschwunden sind. Das kleine El Alberto, 1000 Kilometer von der US-amerikanischen Grenze entfernt, ist mit einer steten Abwanderung konfrontiert: Jedes Jahr brechen Dutzende auf, durchqueren die Wüste Richtung Norden. Die Gefahren sind groß, doch ein Versprechen von Wohlstand lockt, und viele hegen die Hoffnung, ihre Angehörigen zu treffen. Um ein realistisches Bild des Unterfangens zu vermitteln – und um vor diesem abzuschrecken –, wurde „Caminata Nocturna“ konzipiert. Eine Art Rollenspiel, bei dem zahlende Teilnehmende, vornehmlich Tourist:innen, die illegale Einwanderung in die USA nachempfinden können. Coyotes, so der Name der Schlepper:innen, führen dann durch die dunkle Wüste, Grenzkontrolleur:innen lauern mit Sirenen und Haftandrohungen auf, eine fingierte Vergewaltigung wird inszeniert. „Die Kälte der Nacht ist sehr intensiv“, beginnt ein Mann seine Erzählung, bald darauf symbolisieren brennende Fackeln die unterwegs Verstorbenen.
Es ist eine eindrückliche, makabre Simulation, auf die Clara Trischler in ihrem Film sukzessive zusteuert. Das Event versieht die zuvor nur gehörten Geschichten mit Bildern, Schicksale werden greifbarer, eine Ahnung des zu erwartenden Risikos schimmert auf. So vermischen sich in Night of the Coyotes Fiktion und Realität, Vergangenheit und Gegenwart, Traum und Trauma. Virgilio etwa, der lange in den USA lebte und des Landes verwiesen wurde, hat sich als „Caminata Nocturna“-Grenzwache eine neue Existenz aufgebaut. Als einer von drei Protagonist:innen illustriert er ein Dasein, das in El Alberto durch die Grenze immer schon ein zerrissenes ist – die Bleibenden sind nie ohne die Fortgegangenen zu denken, fast jede:r hier war bereits in den USA oder musste von dort zurückkehren. Trischler nähert sich dieser Umgebung sensibel und fängt eine indigene Gemeinde ein, die in einer schwierigen Situation nach ihrem eigenen Weg sucht. (Carolin Weidner)