Fang den Haider
Dokumentarfilm, AT/DE 2015, Farbe, 90 min.
Diagonale 2015
Regie, Buch: Nathalie Borgers
Kamera: Helmut Wimmer
Schnitt: Elke Groen
Originalton: Bruno Pisek
Musik: Thierry Zaboitzeff
Sounddesign: Birgit Obkircher
Produzent:innen: Kurt Mayer
Produktion: kurt mayer film, ma.ja.de filmproduktion
Im Jahr 2000 erlebte die belgische Filmemacherin den Einzug der Freiheitlichen Partei ins hiesige Parlament, mit Jörg Haider an der Spitze. 13 Jahre später kehrt sie nach Österreich zurück und begibt sich auf eine Spurensuche: Haider ist nach seinem Unfalltod 2008 zum Mythos geworden, an dem sich bis heute Wegbegleiter/innen, Kritiker/innen und nicht zuletzt die Öffentlichkeit abarbeiten. Nathalie Borgers begegnet ihm dabei – fern von den gängigen Polarisierungen um seine Figur – auf die vielleicht einzig mögliche Weise: mit Blick von außen. (Produktionsmitteilung)
www.kurtmayerfilm.com, www.filmladen.at
Katalogtext Diagonale 2015:
Der Kärntner Autor Josef Winkler vermerkte mehr als einmal,
dass die Sprachlosigkeit seines Heimatbundeslandes regelrecht
an Gewalttätigkeit grenze. Tatsächlich verharren viele
Kärntner/innen schweigend, wenn sie von Nathalie Borgers zu
Jörg Haider befragt werden. Dessen ehemaliger Pressesprecher
Stefan Petzner etwa, der in Ablehnung eines „linken Films“
die Antwort verweigert und Borgers angesichts dieser eigenwilligen
Genrezuweisung ratlos zurücklässt.
Doch die belgische Dokumentaristin bleibt hartnäckig. Und schließlich wird doch gesprochen: über den „Jörg“, den „Landeshauptmann der Herzen“, den ewig tüchtigen, nimmermüden Händeschüttler und Geldverteiler. Auch wenn Borgers’ Skepsis gegenüber jeglichen rassistischen und populistischen Heilsversprechungen präsent ist, geht sie die Spurensuche mit vermeintlicher Unbefangenheit an. Mit wenigen Ausnahmen sind es vor allem freiheitliche Wegbegleiter/innen und Verehrer/ innen, die im Film zu Wort kommen und in den Fokus gerückt werden: die „Buberlpartie“ um Peter Westenthaler, der „Ortstaferl-Verrücker“ Gerhard Dörfler, die Rechtsaußen- Sympathisanten vom Ulrichsberg oder die deutschnationale Kärntner Großbauernschaft. Dabei wird von den Interviewten gerne das Private in den Vordergrund gestellt, „der Mensch Haider“, der seinen Apfelstrudel ohne Rosinen bevorzugte und das Brauchtum feiernd hochleben ließ. SS-Sager und Skandale passen da schlecht ins heile freiheitliche Selbstbild. Dass es derer jedoch reichlich gibt, ist alles andere als neu.
Borgers’ Verdienst liegt somit in der Verdichtung, im Blick von außen, der so manche Frage aufwirft: Wie konnte das System Haider derart lange reüssieren? Warum wusste sich die politische Opposition dagegen nicht zu helfen? Wieso glaubten so viele Menschen Haiders teils tolldreisten Versprechungen? Und weshalb halten sie auch weiterhin an seinem Mythos fest? Ohne konkrete Antworten zu bekommen folgt Borgers den Stationen einer ungewöhnlichen Politikerkarriere, verwebt Archivmaterial und lässt in den Stuben und Festzelten die „Gastfreundschaft der Freiheitlichen“ über sich ergehen. Derart entlässt Fang den Haider sein Publikum mit einer Lücke von hoher Qualität: im Zustand einer beunruhigenden Ratlosigkeit, die so einiges über das Politikverständnis Österreichs verrät. (sh)