Professor Mamlock
Spielfilm, DDR 1961, Schwarzweiß, 100 min.
Diagonale 2016
Regie: Konrad Wolf
Buch: Karl Georg Egel, Konrad Wolf nach dem gleichnamigen Drama von Friedrich Wolf
Darsteller:innen: Abeßer, Doris (Ruth Mamlock)
Burg, Ursula (Ellen Mamlock)
Grabbert, Günther (Simon)
Grosse, Herwart (Oberarzt Dr. Carlsen)
Halgardt, Harald (Dr. Hellpach)
Heinz, Wolfgang (Prof. Mamlock)
Jung-Alsen, Kurt (Bankier Schneider)
Kraus, Agnes (Schwester Hedwig)
Krug, Manfred (SA-Sturmbannführer)
Kutschera, Franz (Dr. Werner Seidel)
Naumann, Günter (Kurt Walter)
Sturm, Peter (Dr. Hirsch)
Tempelhof, Lissy (Dr. Inge Ruoff)
Thate, Hilmar (Rolf Mamlock)
Thein, Ulrich (Ernst)
Kamera: Werner Bergmann
Schnitt: Christa Wernicke
Originalton: Gerhard Wiek
Musik: Hans-Dieter Hosalla, Ludwig van Beethoven, (9. Sinfonie)
Szenenbild: Harald Horn
Kostüm: Werner Bergemann
Weitere Credits: Dramaturgie: Willi Brückner
Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme, Künstlerische Arbeitsgruppe Heinrich Greif
Obwohl sich für Professor Mamlock,
den Chefarzt einer chirurgischen
Klinik, das Leben nach der Machtergreifung
Hitlers spürbar ändert,
will er es zunächst nicht wahrhaben.
Seinem Sohn, der im Widerstand
engagiert ist, weist er die Tür. Dass
seine Tochter als Jüdin vom Gymnasium
verwiesen wird, will er nicht
glauben. Er selbst kann zwar noch
arbeiten, muss aber unter Druck
andere jüdische Kollegen entlassen.
Als ein Nazi kommissarischer Leiter
des Spitals wird und er mit der
Aufschrift „Jude“ auf dem Arztkittel
durch die Straße Spießrutenlaufen
muss, sieht er keinen Ausweg mehr.
Hans Mamlock, eminenter Chirurg und Chefarzt
einer deutschen Klinik, adressiert das Publikum mit
direktem Blick in die Kamera: „Du bist voller Sorge:
Wird es nach dem letzten Völkermord noch einmal
Krieg geben? Du ängstigst dich um deinen Sohn, deine
Tochter, deinen Mann. Sind unsere Hoffnungen
und Pläne nicht auf Sand gebaut? Ist in dem lärmenden
Vorwärtsstürmen der Welt noch Platz für Güte
und Menschlichkeit, Demokratie und Freiheit, Geist
und Harmonie? Du willst nicht wahrhaben, dass du
nachts aufwachst und in die Dunkelheit starrst.“
Es ist der Silvesterabend des Jahres 1932. Professor
Mamlock, seine Frau und die gemeinsame
Tochter Ruth begrüßen mit Freunden, Sektflöten
und Walzerklängen das neue Jahr. Rolf, der Sohn des
Hauses, und ein paar Genossen prügeln sich in den
Straßen mit Nationalsozialisten. Der grundlegende
Konflikt – bürgerlicher Illusionismus versus politische
Hellsichtigkeit –, der die Familie spaltet und
zum Bruch zwischen Vater und Sohn führen wird, ist
somit schon zu Beginn etabliert.
Mamlock senior, ein Veteran des Ersten Weltkriegs,
der vor Verdun gelegen hat, versteht die Zeichen
der neuen Zeit nicht zu deuten. Selbst nach der
Machtübernahme Hitlers im März 1933 hält er naiv
an seinem Glauben an den Staat und die hehren Ideale
seines Berufsstands fest. Er deckt zwar einen verwundeten
Kommunisten, indem er ihn medizinisch
versorgt, doch Verständnis für den Kampfgefährten
seines Sohnes hat er keines. Er erklärt, Politik
sei uninteressant – „im Operationssaal brauche ich
keimfreie Luft“. Mamlocks alte Freunde, allen voran
Zeitungsherausgeber Seidel, erweisen sich als
Opportunisten; Tochter Ruth wird von ihren Klassenkamerad/
innen verhöhnt und des Gymnasiums
verwiesen. Doch erst als Dr. Hellpach, ein Parteigenosse
der ersten Stunde, als kommissarischer Leiter
in SA-Stiefeln die Klinik übernimmt und Mamlock
mit einem Schild mit der Aufschrift „Jude“ durch die
Straßen geführt wird, bricht sein Glaube an Recht
und Ordnung, mithin auch sein Glaube an Deutschland,
zusammen.
Professor Mamlock basiert auf dem gleichnamigen
Stück des Arztes und Schriftstellers Friedrich
Wolf, das dieser unter dem Eindruck des Reichstagsbrandes
1933 in Frankreich schrieb, der ersten
Station seines Exils. Die vorliegende Adaption durch
seinen Sohn Konrad Wolf hält sich näher ans Original
als die Erstverfilmung des Stoffs von Herbert Rappaport
und Adolf Minkin in der Sowjetunion 1938.
Stand damals noch die Notwendigkeit des Kampfs
gegen den Faschismus im Mittelpunkt, so geht es
Wolf laut eigener Aussage vor allem um die nach wie
vor aktuelle „Tragödie des deutschen Intellektuellen“:
„Die Mamlocks leben und wünschen keine Veränderung
in der Welt. Für diese ,sehenden‘ Blinden war
unser Film gedacht.“
Ulrich Gregor befand in der Münchner „Filmkritik“,
Professor Mamlock besitze die „Abstraktion
einer Lektion“. Doch bei allem Text findet der Film
auch viele starke Bilder – besonders eindrucksmächtig:
die Mehrfachbelichtungen zur Visualisierung
innerer Vorgänge. Dazu kommt das ausdrucksstarke
Spiel von Wolfgang Heinz in der Titelrolle. In dessen
Gestaltung, so Manfred Jelenski von der „Deutschen
Filmkunst“, vereinen sich die „Erfahrungen
eines Künstlers, der aus seiner Wirkungsstätte 1933
aus den gleichen Gründen wie Mamlock vertrieben
wurde, mit dem Wissen um die gesellschaftlichen
Zusammenhänge“. Ein wahrer Meilenstein der
DEFA-Filmgeschichte.
(Michael Omasta)
In Kooperation mit der DEFA-Stiftung