Die Mitte der Welt
Spielfilm, DE/AT 2016, Farbe, 115 min., OmeU
Diagonale 2017
Regie: Jakob Moritz Erwa
Buch: Jakob M. Erwa,
nach dem Roman von:
Andreas Steinhöfel
Darsteller:innen: Louis Hofmann, Sabine Timoteo, Jannik Schümann, Ada Philine Stappenbeck, Nina Proll
Kamera: Ngo The Chau
Schnitt: Carlotta Kittel
Originalton: Jörg Kidrowski
Musik: Paul Gallister
Sounddesign: Veronika Hlawatsch
Szenenbild: Veronika Merlin
Kostüm: Peri de Braganca
Produzent:innen: Boris Schonfelder, Viktoria Salcher, Mathias Forberg, Jakob M. Erwa
Produktion: Neue Schönhauser Filmproduktion
Koproduktion: Prisma Film- und Fernsehproduktion,
mojo:pictures
Schillerndes Coming-of-Age-Kino im Popgewand. Ein Sommer neigt sich dem Ende zu, und auch der 17-jährige Phil fühlt Abschied und Anfang so nah beieinander wie nie zuvor. Mit dem Neuen in der Klasse bemerkt Phil erstmals irreführende Verliebtheit, aber auch zu Hause, in der „Villa Visible“, wo er mit seiner Mutter und seiner Zwillingsschwester wohnt, muss er sich aufgrund allmählich aufbrechender Geheimnisse plötzlich anders orientieren.
In Jakob M. Erwas Adaption von Andreas Steinhöfels Jugendroman erlebt der 17-jährige Phil einen aufwühlenden und wegweisenden Spätsommer. Gerade aus dem Ferienlager zurück, findet er seine ewig rebellische Mutter Glass in der heimischen „Villa Visible“, einer Mischung aus verfallenem Märchenschloss und Villa Kunterbunt in einer kleinbürgerlichen deutschen Vorstadt, auffallend distanziert vor. Offenbar gab es einen größeren Streit mit Phils Zwillingsschwester Dianne, über den man Phil nichts erzählen will. Er kennt die Stimmungsschwankungen der beiden gut genug, um sich vorerst keine Sorgen zu machen. Seine beste Freundin Kat lenkt ihn mit ihrer verrückten Art effizient ab, und dann kommt am ersten Schultag auch noch Neuzugang Nicholas in die Klasse, in den Phil sich Hals über Kopf verliebt.
Mit spielerischem Ernst kombiniert Die Mitte der Welt Elemente aus der adoleszenten Sturm- und Drangzeit und dem oft nicht minder bedrohlich abgründig wirkenden Erwachsensein. Der Dreierkonstellation der Kleinfamilie wohnen einige Probleme und Geheimnisse inne, und der heranwachsende Phil ist dabei, sie allmählich zu entschlüsseln. Seine größte gefühlte „Leerstelle“ ist die Abwesenheit seines Vaters, dessen Namen die Mutter beharrlich verschweigt. Nach ihm will Phil suchen, um sich selbst näherzukommen.
Bemerkenswert am Roman wie auch an der filmischen Adaption sind der selbstverständliche Umgang mit der Homosexualität des Protagonisten – und der Umstand, dass dies auch heute (noch) erwähnenswert bleibt. Die feinfühlige Ästhetik, mit der Erwa Phils Sexualität inszeniert, setzt Akzeptanz als gegeben voraus und vermag die Facetten sexueller Pubertät unabhängig von Orientierung und Gender zu beleuchten. Stilistisch verwehrt Erwa sich nicht dem Einfluss des jungen kanadischen Filmemachers Xavier Dolan, der mit Filmen wie I Killed My Mother, Laurence Anyways und Mommy die Geschichten seiner homosexuellen Hauptfiguren in exaltierten Liebesmelodramen oder düster-melancholischen Kriminalsettings erzählt und dabei stets – ebenso wie Erwa hier – überbordende Collagen, Split Screens, Zeitlupen und schillernde Farben verwendet. Eine Aneignung, die ganz wunderbar funktioniert – und mit Louis Hofmann ein Hauptdarsteller, der zu Recht als eine junge Entdeckung gehandelt wird.
(Katalogtext, az)