Mourir à tue-tête (Schrei aus der Stille)
Spielfilm, CA 1978, Farbe, 95 min., OmeU
Diagonale 2018
Regie: Anne Claire Poirier
Buch: Marthe Blackburn
Anne Claire Poirier
Darsteller:innen: Julie Vincent, Germain Houde, Paul Savoie, Monique Miller
Kamera: Michael Brault
Schnitt: Maurice Blackburn
Mourir à tue-tête zeigt die Geschichte
einer brutalen Vergewaltigung
und ihrer Folgen bis hin zum Selbstmord
einer Frau. Durch beigefügte
Dokumentaraufnahmen bleibt
der Film nicht auf das individuelle
Schicksal der Suzanne beschränkt,
sondern stellt den Bezug zu anderen,
gesellschaftlichen Formen der
Unterdrückung von Frauen her. Der
Film wurde insbesondere innerhalb
der Frauenbewegung heftig und
kontrovers diskutiert.
Die Krankenschwester Suzanne wird auf dem
Heimweg nach ihrer Nachtschicht von einem Mann
überfallen, in einen Lieferwagen gesperrt und psychisch
und physisch vergewaltigt. Bevor er sie sexuell
missbraucht, schlägt und beschimpft er sie und
spuckt ihr Bier ins Gesicht. Suzanne zeigt den Vorfall
bei der Polizei an, muss jedoch demütigende
Verhöre und Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit über
sich ergehen lassen. Nach dieser Nacht verliert die
Krankenschwester
jegliche Lebensfreude und versinkt
in Depression und Apathie. Die Vergewaltigung
und ihre Folgen sind Teil eines Films, an dem
eine Regisseurin und ihre Editorin arbeiten. Immer
wieder diskutieren und reflektieren die beiden das
Filmmaterial, das sich auch aus dokumentarischen
Aufnahmen über die Formen der gesellschaftlichen
Unterdrückung von Frauen zusammensetzt.
Durch beigefügte Dokumentaraufnahmen bleibt
der Film nicht auf das individuelle Schicksal der
Suzanne beschränkt. Bilder vom Vietnamkrieg, von
Genitalverstümmelungen in Afrika, von kahlgeschorenen
Frauen aus dem Zweiten Weltkrieg stellen den
Bezug her zu anderen, gesellschaftlichen Formen
der Unterdrückung von Frauen (und sind zugleich
Ausdruck der zeitgeistigen politischen Denke, Anm.).
(Aus dem Filmladen-Katalog vom November 1982)
In der deutschen Frauenbewegung verursachte
der Film beträchtliche Aufregung. Auf Diskussionen
während der Berlinale, auf der der Film seine Premiere
feierte, rügten militante Feministinnen, „das
Lichtspiel sei viel zu schlapp, wecke höchstens
Mitleid mit der gepeinigten Frau, nicht aber Widerstands-
und Kampfgeist der unterdrückten Frauen“.
Der Streit eskalierte, als die Hamburger Journalistin
Peggy Parnass im Berliner Szenemagazin „Tip“ eine Schrei-Rezension veröffentlichte. „Sie habe, schrieb
sie, an Vergewaltigung nie recht glauben können
(…)“. Nun aber habe sie „dazugelernt“, eingesehen,
dass „Vergewaltigung nicht mit dem Schwanz
stattfindet“. Dann bekannte sie: „Was wir uns sicher
wünschen, ist, von dem Mann, den wir selber stark
begehren, heftig genommen zu werden.“ Sie erntete
stürmische Reaktionen und Beschimpfungen seitens
anderer Feministinnen. Alice Schwarzer verlieh
Parnass daraufhin in ihrem Magazin „Emma“ den
Titel „Pascha des Monats“.
(Zitate aus Spiegel 18/1980)
Neben Schrei aus der Stille war Die Macht der
Männer ist die Geduld der Frauen ein weiterer Film
zum Thema. Beide hatten ihr Programm bereits im
Titel. Mourir à tue-tête war sowohl von der spielerisch-
dokumentarischen Form als auch vom Inhalt
her ein Erfolg. Wobei einschränkend zu sagen ist,
dass von Frauen manchmal die für sie zu plakative
Darstellung kritisiert wurde.
Jedoch, ein derartiges Tabu für ein großes Publikum
damals anzubieten, war eine Herausforderung.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil das akribisch
gezeigte persönliche Schicksal in Beziehung zu
anderen religiösen und kulturellen Unterdrückungsritualen
in Beziehung gesetzt wurde.
Wir konnten die Volkshochschule Stöbergasse
im Wiener 5. Bezirk überzeugen, den Festsaal als
Kino neu zu adaptieren. Das große Publikumsinteresse
bestätigte in weiterer Folge die Leitung darin,
verstärkt auf Filmvorführungen zu setzen. Das Filmcasino
in Wien war dann mittelfristig eine direkte Folge
davon. Auch die enge Zusammenarbeit mit dem
Büro von Staatssekretärin Dohnal brachte für das
Thema und dessen filmische Umsetzung Publizität.
(Katalogtext, Franz Grafl)