The Remains – Nach der Odyssee
Dokumentarfilm, AT 2019, Farbe, 90 min., 20.3. OmdU / 22.3. OmeU
Diagonale 2019
Regie, Buch: Nathalie Borgers
Kamera: Johannes Hammel
Schnitt: Sophie Reiter
Originalton: Peter Roesner
Sounddesign: Peter Roesner
Weitere Credits: Produktionsleitung: Andrea Minauf
Produzent:innen: Johannes Rosenberger, Johannes Holzhausen, Constantin Wulff
Produktion: Navigator Film
Zwei Erzählstränge entfalten sich
in The Remains nebeneinander: Der
eine begleitet in Wien Hinterbliebene
einer syrischen Familie, die auf
der Flucht 13 Angehörige im Meer
verloren haben. Der andere zeichnet
ein Bild von Helfer/innen auf
Lesbos, die sich an der Suche nach
Vermissten beteiligen, Ertrunkene
bergen oder sich um eine würdevollere
Beisetzung unbekannter Toter
bemühen. Behutsam und in ruhigen
Aufnahmen nähert sich der Film
dem Sterben im Mittelmeer von
vielen Seiten.
The Remains – Nach der Odyssee setzt mit
kalten Wellen ein. Die schlagen gegen die Scheibe
eines Schiffes, während eine Wärmebildkamera das
Meer abtastet. Irgendwo dort, zwischen den Wellen,
befindet sich die Grenze zwischen der Türkei und
Griechenland. Am felsigen Ufer der griechischen
Insel Lesbos liegen zertrümmerte Holzbretter
havarierter Schiffe, angespülte Gummireste von
Schlauchbooten und zerschlissene Rettungswesten.
An Land schulen Vertreter/innen des Internationalen
Komitees vom Roten Kreuz einige Mitarbeiter
der Küstenwache in der Bergung von Toten.
In ihrem Film entfaltet Nathalie Borgers zwei
Erzählstränge nebeneinander: Der eine zeichnet ein
Bild von Helfer/innen auf Lesbos. Von jenen, die sich
an der Suche nach Vermissten beteiligen, Ertrunkene
bergen oder sich um eine würdevollere Beisetzung
der unbekannten Toten auf einem Friedhof
bemühen. Der andere begleitet in Wien Hinterbliebene
einer syrischen Familie, die während der Flucht
13 Angehörige im Meer verloren haben, als das Boot
zwischen Izmir und Samos kenterte. Seit zwei Jahren
liegt das Schiff auf dem Meeresgrund, keine Seite
will es bergen. Farzat, der in Wien seinen Vater und
seine Schwestern erwartet, die das Unglück überlebt
haben, erzählt diese zutiefst traurige Geschichte.
Beim Suchdienst des Roten Kreuzes füllt er Formulare
aus, um eine mögliche Identifikation seiner Mutter,
seiner Tante, der Nichten und Neffen zu unterstützen.
Eine Mitarbeiterin notiert körperliche Merkmale und
Auffälligkeiten der Verschollenen: ein Tattoo am linken
Knöchel, ein Zahnimplantat, die Kaiserschnittnarbe
am Bauch.
Als stille Beobachterin begleitet die Kamera das
Wiedersehen der Familienmitglieder, das beständige
Ringen des Vaters, dem Nachzittern des Erlebten
standhalten zu können, und die Bemühungen, Farzats
Bruder Imad aus Deutschland zu holen, der ganz
allein mit den traumatisierenden Bildern fertig werden
muss, die ihm nicht aus dem Kopf gehen wollen.
Sensibel hört der Film zu – auch in jenen Momenten,
in denen der Schmerz nicht in Worte zu fassen ist und
in hilflosem Warten zerrinnt, weil die Hoffnung der
Trauer im Weg steht.
Behutsam, in ruhigen Aufnahmen und von vielen
Seiten nähert sich The Remains einem Danach. Und
zeigt im Zusammenfügen der Geschichte einer persönlichen
Katastrophe mit Bildern von Grabsteinen,
die anonyme Protokollnummern statt Namen tragen,
dass der Blick von außen und ein Blick nach innen
nicht dasselbe sind.
(Katalogtext, jk)