Sie ist der andere Blick
Dokumentarfilm, AT 2018, Farbe+SW, 90 min., OmeU
Diagonale 2019
Regie, Buch, Kamera, Schnitt, Szenenbild: Christiana Perschon
Darsteller:innen: Renate Bertlmann, Linda Christanell, Iris Dostal, Lore Heuermann, Karin Mack, Margot Pilz
Sounddesign: Karim Weth
Weitere Credits: 2. Kamera Patrick Wally, Tonmischung Alexander Koller, Farbkorrektur Matthias Tomasi
Produzent:innen: Christiana Perschon
Produktion: Christiana Perschon
Mit ihrer Kunst traten die feministischen
Künstlerinnen Renate
Bertlmann, Karin Mack, Linda
Christanell, Margot Pilz und Lore Heuermann dem männlichen Herrschaftsgefüge
der 1970er-Jahre
entgegen. Christiana Perschon lädt
die Künstlerinnen, allesamt Teil der
Wiener Avantgardeszene, in ihr Atelier
und nähert sich ihnen und ihrem
Schaffen mit der Kamera.
Mit Schwung zieht die Künstlerin Iris Dostal
den Pinsel über die Leinwände, um die Flächen zu
grundieren. Mit einer 16mm-Bolex-Kamera fängt
die Filmemacherin Christiana Perschon die Bewegungen
im Raum in stummen, zunächst körnigen
Schwarz-Weiß-Bildern ein, während auf der Tonebene
ein mehrstimmiger Dialog zu hören ist. Die
Anfangssequenz ist programmatisch: Mit Sie ist
der andere Blick lässt Christiana Perschon in ihrem
Atelier einen audiovisuellen Denkraum entstehen,
der sich aus einer Kollaboration mit mehreren Künstlerinnen
zusammensetzt. Renate Bertlmann, Karin
Mack, Linda Christanell, Margot Pilz und Lore Heuermann,
allesamt Teil der Wiener Avantgardeszene
und aktiv in der Frauenbewegung der 1970er-Jahre,
erinnern sich an die Winkelzüge eines männlichen
Herrschaftsgefüges, dem sie in ihren feministischen
Arbeiten entgegentraten. Die Künstlerinnen schildern
ihre damaligen und gegenwärtigen Erfahrungen
und Lebenssituationen als Ehefrauen, Mütter
oder Studentinnen: Triebfedern und Vorlagen für
künstlerische Inhalte und Sichtweisen im Sinne einer
Haltung, die das Private als politisch begreift.
Christiana Perschon gibt den Frauen nacheinander
Raum, damalige Prozesse künstlerischer Selbstermächtigung
zu reflektieren, die auf patriarchale
Gesellschaftsstrukturen, Herabwürdigung weiblicher
Kunst durch männliche Lehrmeister und ständige
Bevormundung antworteten. Während die Künstlerinnen
von ihren Ausgangspositionen zu Themen
wie Sexualität, männliche Blickmuster oder Konstruiertheit
von Rollenbildern erzählen, lotet die Kamera
als dazwischengeschobene Apparatur feinsinnige
Formen aus, die früheren Werke in filmische Bilder zu
überführen und in Bewegung zu setzen. Eine Fotoserie
von Renate Bertlmann wird an die Wand geworfen,
das Licht des Diaprojektors aus unterschiedlichen
Winkeln eingefangen. An einer Leine hängen ihre
Objekte aus transformierten Schnullern wie flatternde
Wäschestücke. Karin Macks Objektinstallation
aus Haarnadeln, Bratenspießen und Nägeln wird in
einer rotierenden Bewegung abgefilmt und mit einer
Lupe vergrößert. Linda Christanell baut aus den
Objets trouvés ihres Fundus assoziative Situationen.
Kopfüber gefilmt verschieben sich die Perspektiven
einer Performance von Margot Pilz in deren weißer
Zelle. Und in einem Spiel wechselnder Einstellungen
scheinen die Tuschezeichnungen von Lore Heuermann
auf den dicht gehängten Papierbahnen miteinander
zu interagieren.
Christiana Perschons Atelier wird in Sie ist
der andere Blick zum konstellativen Arbeitsraum
über künstlerische Strategien der Aneignung, die
diesem wunderbar außergewöhnlichen Film selbst
innewohnen.
(Katalogtext, jk)