JOY
Spielfilm, AT 2018, Farbe, 101 min., OmdU
Diagonale 2019
Regie, Buch: Sudabeh Mortezai
Darsteller:innen: Joy Alphonsus, Precious Mariam Sanusi, Angela Ekeleme
Kamera: Klemens Hufnagl
Schnitt: Oliver Neumann
Originalton: Atanas Tcholakov
Sounddesign: Atanas Tcholakov
Szenenbild: Julia Libiseller
Kostüm: Carola Pizzini
Produzent:innen: Oliver Neumann, Sabine Moser
Produktion: FreibeuterFilm
Joy arbeitet als Sexarbeiterin in
Wien. Sie möchte ihre Tochter und
ihre Familie zu Hause in Nigeria
finanziell unterstützen, muss sich
aber bei Madame, ihrer Zuhälterin,
freikaufen. Als Joys Freiheit in
greifbarer Nähe scheint, wird ihr ein
Mädchen überantwortet, das sich
nicht mit seinem Schicksal abfinden
will. In kongenialer Verbindung von
scheinbar dokumentarischem Realismus
und sensibler Fiktion gelingt
Sudabeh Mortezai ein eindringlicher
Film über die Gesellschaft, in der
wir leben.
Sudabeh Mortezai erzählt auch in ihrer neuen
Arbeit JOY in jenem besonderen Stil, der bereits ihr
Langfilmdebüt Macondo (2014) prägte, in dem sie
die tschetschenische Community in Wien porträtiert.
Mit wesentlicher Unterstützung des Kameramannes
Klemens Hufnagl gedreht, ähneln beide
Filme sequenzweise dem Cinéma vérité, obwohl
die Geschichten fiktiv und sorgfältig dramatisiert
sind. Zum Teil liegt das an den nicht professionellen
Schauspieler/innen, mit denen Mortezai arbeitet.
Das Drehbuch zu JOY basiert auf realen Geschichten
von nigerianischen Sexarbeiterinnen,
die der von Mortezais Protagonistin oft gleichen:
Joy, eine junge Frau aus Nigeria, arbeitet in Wien
als Prostituierte, zumindest so lange, bis sie ihren
Kredit für die Reise nach Europa bei ihrer Zuhälterin
Madame abbezahlt hat. Als es für die Frau fast
so weit ist, bekommt sie die Verantwortung für das
neue Mädchen Precious übertragen, das sich allerdings
als widerspenstig erweist. Joy findet sich in
einer zwiespältigen Rolle wieder: Einerseits will sie
Precious das Leben in Wien unter den gegebenen
Bedingungen erleichtern, andererseits bedeutet das
aber, genau jene repressiven und ausbeuterischen
Mechanismen weiterzugeben, die sie selbst so gnadenlos
unterjocht halten.
Der Anschein von dokumentarischem Realismus
mischt sich in JOY mit stellenweise fast lyrischer
Fiktion: In gegenseitigem Vertrauen entlässt Mortezai
ihre Laiendarstellerinnen in gewisse Szenen
des Films gänzlich uninformiert. Eine solche spielt
in einem Landgasthaus, als wie aus dem Nichts
plötzlich Aberglaube auf Aberglaube und Glaube auf
Glaube trifft. Selten wurde der (un-)verhohlene eurozentrische
Blick auf die Fremde kraftvoller, eleganter
und deutlicher entblößt.
Mortezai beleuchtet nicht nur die Szene dieser
Sexarbeiterinnen und legt Aspekte des Systems des
Menschenhandels frei; sie untersucht hier auch die
Möglichkeit eines freien Willens. Für einen freien Willen
braucht man Handlungsspielräume. Die hat Joy
nicht. Also dreht sie den Spieß um, sobald sie kann –
wie einst Madame.
(Katalogtext, az)