Diagonale
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Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
Dokumentarfilm, DE/AT 2022, Farbe+SW, 96 min., OmeU
Diagonale 2023

Regie, Buch: Claudia Müller
Darsteller:innen: Elfriede Jelinek, Sophie Rois, Stefanie Reinsperger, Maren Kroymann, Sandra Hüller, Martin Wuttke, Ilse Ritter
Kamera: Christine A. Maier
Schnitt: Mechthild Barth
Musik: Eva Jantschitsch
Produzent:innen: Martina Haubrich, Claudia Wohlgenannt
Produktion: Cala Film (DE)
Koproduktion: Plan C Filmproduktion OG

 

Fingerdick geschminkt sind die Augen, mit denen Elfriede Jelinek ihren „Fernblick“ auf die Welt richtet, auf die Zusammenhänge und Schieflagen. Dieser Blick ist es, der Jelinek zum literarischen Weltstar und zur verhassten Autorin zugleich machte. In diesem Film spricht sie von überallher – aus dem Archiv, von Fotos, aus Naturaufnahmen ihres verabscheuten Österreichs und aus ihren Texten.

Von überallher spricht Jelinek, die seit 2004 zurückgezogen lebt, in Claudia Müllers Film. Meldet sich aus dem Archiv, von Fotos, aus Naturaufnahmen ihres verabscheuten Österreichs und aus ihren Texten, die eigens für den Film von Schauspieler*innen eingelesen wurden. „Vielstimmig“ könnte man das nennen – denn was wäre auch ein Jelinek-Film, auf den das nicht zuträfe? Im Zentrum des Jelinek’schen Fernblicks aufs gesellschaftliche Dahinter stehen diesmal die Hintergründe von Leben und Werk der Autorin selbst. Langsame Kamerafahrten durch beklemmende Gassen steirischer Dörfer setzen da an, wo es auch für sie begann: Von der Klosterschule ins Konservatorium, von einer Verpflichtung zur nächsten spielte ihre Kindheit sich zwischen protestantischer Ethik und Erzkatholizismus ab und gestaltete sich dabei einigermaßen vergnügungsarm. Angefangen beim Muttertagsgedicht professionalisierte die kleine Jelinek ihr fiktionales Können im Belügen der strengen Mutter. Das Schreiben – so erklärt sie später selbst – war stets Ausbruch aus der mütterlichen Verfügung, war die Sprache doch „die einzige Kunstform, die meine Mutter nicht gefördert hat“. Vermutlich ist es aber auch jene Härte gegen sich selbst, die Jelinek mit Anfang dreißig bereits mit drei veröffentlichten Büchern dastehen ließ. Im verrauchten Dunstkreis von Wiens Jungkünstler*innen der 1980er-Jahre radikalisierte sich ihr Kunstverständnis. Ihre Texte sollten „im politischen Sinne effektiv“ sein und waren es wohl auch: Ein konsternierter Marcel Reich-Ranicki, dem die Beschreibung sexueller Gewalt dann doch zu arg war, ist da nur mediales Klein-Klein angesichts Jörg Haiders Vergrämungskampagne, die Jelinek und andere österreichische Intellektuelle aus Protest das Land verlassen ließ. Immer habe sie Österreich durch den Dreck gezogen, hieß es selbst dann noch vielerorts, als Jelinek 2004 den Literaturnobelpreis erhielt.
Mit Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen setzt Claudia Müller dem selbstgewählten Verschwinden der Autorin vorsichtig etwas entgegen und stellt dabei Vermutungen an, warum Jelinek so schreibt, wie sie schreibt. Kein leichtes Unterfangen, wie auch Elfriede Jelinek weiß, die sich ausnahmsweise öffentlich und höchst angetan zum Film äußerte; die Filmemacherin und ihre „kongeniale Kamerafrau“ hätten sich „in ruhigen Fahrten wie ein Schnitter mit seiner Sense durch mein Leben gemäht (…), in einer der elegantesten und rhythmischsten Bewegungen, die ich kenne (und ich kann mit der Sense mähen!)“.
(Katalogtext, ek)

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