Jugofilm
Spielfilm, AT 1997, Farbe, 88 min., OmdU
Diagonale 2023
Regie, Buch: Goran Rebić
Darsteller:innen: Michael Jovanović, Merab Ninidze, Tamara Simunović, Ljubiša Samardžić, Eva Mattes, Ratka Krstulović-Kusturica, Aleksandar Jovanović, Loretta Pflaum, Salko Sarić, Wolf Bachofner, Roswitha Soukup
Kamera: Jerzy Palacz
Schnitt: Andreas Kopriva
Originalton: Bernhard Weirather, Andreas Kopriva
Musik: Andi Haller and the Lonesome Andi Haller Band
Szenenbild: Bertram Reiter
Kostüm: Elisabeth Blanke-Pongratz
Produzent:innen: Erich Lackner
Produktion: Lotus Film
Wien 1991. Für die Mitglieder einer serbischwienerischen Gastarbeiter*innenfamilie werden nicht nur die täglichen tragischen Fernseh- und Radionachrichten aus dem Jugoslawienkrieg zum zeitzündenden Sprengsatz mit fataler Wirkung – nichts ist mehr so wie früher. Kurz vor seinem Geburtstag wird Sascha (Merab Ninidze) für die serbische Armee zwangsrekrutiert. Als er nach einem Jahr ohne Nachricht zurückkehrt, kann nichts mehr so sein wie zuvor. Hat er die Kriegsverbrechen begangen, die ihm von seinen Nachbar*innen vorgeworfen werden? Nach und nach kommen Zweifel auf, und die kleine Gemeinschaft österreichischer Einwander*innen wird auseinandergerissen.
Wien 1991. Wo einst das Märchenland der Kindheit war, reicht fast kein Traum mehr hin. Für die Mitglieder einer serbisch-wienerischen Gastarbeiter*innenfamilie werden nicht nur die täglichen tragischen Fernseh- und Radionachrichten zum zeitzündenden Sprengsatz mit fataler Wirkung – nichts ist mehr so wie früher. Niemand wollte die warnenden Zeichen der Vergangenheit kritisch wahrnehmen. Man lebte im Fluchtraum vom in der Fremde hart erarbeiteten Eigenheim, von der nie infrage gestellten Eigen-Heimat. Umso schlimmer die Konsequenzen. Der älte Sohn Sascha (Merab Ninidze), der eigentlich die Großmutter nach Wien begleiten sollte, wird kurz vor seinem Geburtstag für die serbische Armee zwangsrekrutiert, sein Vater (Ljubiša Samardžić) verfällt in einen dumpfen, fatalistischen Nationalismus („einen Serben kann man nicht umbringen“). Goran Rebić zeigt diesen schleichenden Verfall keineswegs in plakativen, naheliegend kriegerischen Bildern. Im Gegenteil: Er lässt sich und seinen Darsteller*innen Zeit, gibt ihnen Raum in der Weite des Wiener Zentralfriedhofes, bei Autofahrten am Rande des Donaukanals oder im heimeligen Ambiente eines Wiener Jugo-Wirtshauses. Nicht zufällig explodiert gerade dort, an einem Ort vermeintlicher Heimat-Sicherheit, seine melancholische Filmerzählung.
Mit Jugofilm, seinem ersten Spielfilm, deutet Rebić viele notwendige Fragen an, aber viel mehr legt er Fährten aus, inszeniert Spiegelbilder, psychische und physische Wirkungs-Schauplätze der medialen Hass- und Vergewaltigungsmaschinerie, die keineswegs auf das ehemalige Jugoslawien, das eigentlich mit seinen verschiedenen Nationalitäten, Sprachen, Religionen ein Klein-Europa war, beschränkt gesehen werden sollten. Jugofilm lächelt unter Tränen.
(Otto Reiter, Broschüre zu Diagonale Sarajevo retour, 1997)
Nach einem lyrischen Kurzfilm und zwei dokumentarischen Arbeiten richtet Goran Rebić in Jugofilm seine Kamera erstmals auf durchgehend Inszeniertes, Geschriebenes. Dass er dabei, geboren in der Vojvodina, auf eigene Erinnerungen zurückgreift, ist offenbar. In einem inneren Monolog, den Rebić selbst spricht, identifiziert er sich mit einem Kind, das über Träume und abgedrängte Erinnerungen nachdenkt. „Mein ganzes Leben davor“, sagt die Stimme im Off, „das habe ich vergessen.“ Die Stilisierungen, die kurzfristig grell gemachten, irrealen Farben und Traumbilder in Jugofilm stehen neben realistischeren Szenen vom Leben in Wien: Naturalismus und Überhöhung haben ausgesöhnt ihren Platz in diesem Film, der ja so sehr auch davon spricht, wie die Welt brüchig werden kann, zwischen Frieden und Krieg, Familie und Einsamkeit, „Asyl“ und „Heimat“. Jugofilm widmet sich, spürbar melancholisch, der Erfahrung, ein Außenseiter zu sein. Vor dem Nationalismus, auch das zeigt Rebić, ist keiner gefeit. Dabei denunziert er niemanden, zeigt vielmehr, dass man nicht böse sein muss, um sich von der Propaganda infizieren zu lassen. Mit dem Krieg enden alte Freundschaften und alte Vertrauensgrundsätze; und alles wird ideologisch, sogar die Unterhaltungsmusik im Radio. Die Konflikte brechen auf, am Arbeitsplatz und daheim, parallel zum fernen Krieg, der auch in Wien, das mit seinen Flaktürmen und seinem Fremdenhass ebenfalls von der Zerstörung geprägt ist, seine Zeichen hinterlässt. Dagegen setzt Rebić die Poetik seines Kinos: das tiefe Blau eines Aquariums, das helle Leuchten eines Radios in der Nacht, das Weltall in den Zeichnungen eines Kindes.
(Stefan Grissemann, Diagonale-Katalog 1998)