Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave
Dokumentarfilm, AT 2024, Farbe, 75 min., OmeU
Diagonale 2024
Regie: Maria Lisa Pichler, Lukas Schöffel
Buch: Maria Lisa Pichler, Lukas Schöffel
Kamera: Lukas Schöffel
Schnitt: Maria Lisa Pichler
Originalton: Maria Lisa Pichler
Sounddesign: Johannes Schmelzer-Ziringer
Weitere Credits: Dramaturgische Begleitung: Tizza Covi
Produzent:innen: Maria Lisa Pichler, Lukas Schöffel
Produktion: Lukas Schöffel und Maria Lisa Pichler
Maria, Anfang 40, pendelt. Auf einige Wochen in ihrer rumänischen Heimat folgt eine lange Phase in Österreich, wo sie als 24-Stunden-Betreuerin bei einer Seniorin lebt, um die sie sich kümmert. Mit empathischer Sachlichkeit porträtieren Maria Lisa Pichler und Lukas Schöffel die Pflegerin in einem Zustand permanenter Zerrissenheit: zwischen dem Wunsch, ihrer Familie ein Auskommen zu ermöglichen, und dem Opfer, das sie dafür bringen muss. Schnell wird klar: Wer an einem Ort eine Lücke füllt, erzeugt anderswo eine neue.
Wenn sich Maria auf den Weg nach Österreich macht, ist die Sonne noch nicht aufgegangen. Zwei Tage wird sie für die Fahrt von Rumänien brauchen und erst in einigen Wochen wieder zurück sein. Maria, Anfang 40, arbeitet als 24-Stunden-Betreuerin. Sie kümmert sich um eine Seniorin, für drei Euro die Stunde, bereitet ihr auf Wunsch Palatschinken zu und stellt den Fernseher auf den Kanal ein, der „André Rieu in Las Vegas“ zeigt. Maria Lisa Pichler und Lukas Schöffel erzählen in ihrem Dokumentarfilm ausschnittweise vom zweiten Leben in Österreich, konzentrieren sich aber vor allem auf die Episoden, in denen Maria in Rumänien ist, Zeit mit ihrer Familie verbringt, über die bestehende Situation reflektiert. Denn das „Tomorrow I Leave“-Gefühl ist in ihrem Umfeld weitverbreitet. Hier sind fast alle schon in halb Europa gewesen, einige Monate in Dänemark, Belgien, Frankreich, Italien, Deutschland – ganz normal. Auch Marias Mann hat sich der Herausforderung bereits gestellt, nun haben sie die Rollen getauscht, er kümmert sich um Haus, Hof und Söhne, während sie unterwegs ist.
„Was sie nicht sehen, ist, dass sie uns sehr viel mehr brauchen als wir sie“, sagt Maria einmal. „Wir“, das sind die zahlreichen Betreuer:innen aus dem Ausland, die in Österreich für einen Hungerlohn schuften. Anlässlich einer Kundgebung zum Weltfrauentag in Wien nehmen Pichler und Schöffel all diese Menschen in den Blick, schenken ihnen Gehör. Mâine Mă Duc – Tomorrow I Leave beschreitet damit einen Bogen vom Privaten ins Gesellschaftliche, deutet auf ein System, dessen Lücken von jenen gestopft werden, die durch ihre Abwesenheit in der Heimat neue Leerstellen hinterlassen. Marias Rückkehr nach Rumänien ist von Ambivalenz geprägt: Momente der Gemeinschaft und der Verbundenheit stehen solchen gegenüber, in denen sich die Mutter Vorwürfe ihrer Söhne anhören muss. Das Regieduo porträtiert all dies mit sachlicher Empathie. In der letzten Einstellung sitzt Maria wieder im Auto, der Rückspiegel zeigt sie mit silbernem Lidstrich. Es geht zurück nach Österreich. (Carolin Weidner)