Diagonale
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Wer hat Angst vor Braunau? Ein Haus und die Vergangenheit in uns
Dokumentarfilm, AT 2023, Farbe+SW, 99 min., OmeU
Diagonale 2024

Regie, Kamera: Günter Schwaiger
Buch: Günter Schwaiger, Julia Mitterlehner
Darsteller:innen: Lea Olczak, Erwin Schwaiger, Annette Pommer, Florian Kotanko, Helga Embacher u.a.
Schnitt: Günter Schwaiger, Martin Eller
Originalton: Stefan Rosensprung, Julia Mitterlehner
Musik: Roland Hackl
Sounddesign: Nora Czamler
Produzent:innen: Julia Mitterlehner, Günter Schwaiger
Produktion: Dim Dim Film

 

Bei Braunau am Inn denken die meisten wohl nicht an ein beschauliches Städtchen, sondern an das „Hitlerhaus“, wie es dort alle nennen. Eigentlich sollte die Sozialeinrichtung Lebenshilfe in das Geburtshaus von Adolf Hitler einziehen, doch dann machte das österreichische Innenministerium daraus einen Standort der Bundespolizei. Diese kuriose Entscheidung lässt Günter Schwaiger nicht nur über den Umgang Österreichs mit seiner Nazi-Vergangenheit reflektieren, sondern auch über die Geschichte seiner eigenen Familie.

„Wer ist der berühmteste Österreicher?“, fragt Filmemacher Günter Schwaiger Passant:innen in der Fußgängerzone. „Mozart, Arnold Schwarzenegger und Romy Schneider“, lauten die Antworten. Einige wenige nennen auch Adolf Hitler, der in der Stadt geboren wurde, die das Braun schon im Namen trägt: Braunau am Inn. Nicht nur dieser Umstand sorgt wohl dafür, dass das beschauliche Städtchen seinen Ruf als „Geburtsstätte des Bösen“ nicht loswird. Eigentlich wollte Schwaiger den Einzug der Sozialeinrichtung Lebenshilfe in das „Hitlerhaus“ dokumentieren, doch dann beschließt das österreichische Innenministerium, daraus einen Standort der Bundespolizei zu machen.

Konfrontiert mit dem Scheitern seines Filmprojekts über die Lebenshilfe nimmt Schwaiger diese vermeintliche Sackgasse zum Anlass, ausgehend von seiner bereits 2018 begonnenen Recherche neue Pfade zu verfolgen. Er führt Interviews mit Bewohner:innen Braunaus, begleitet die Demonstrationen gegen die Entfernung des Mahnmals vor dem „Hitlerhaus“ und gelangt schließlich an eine der raren Drehgenehmigungen für dessen Innenräume. Schwaigers Film verbindet die Beobachtung des kruden Umgangs mit der heiklen Immobilie mit psychoanalytischen Ansätzen zu Verdrängung und vermeintlicher Geschichtsvergessenheit, was ihn auch in die Geschichte seiner eigenen Familie führt: Seine Eltern, selbst Jugendliche während der NS-Zeit, erzählen von nationalsozialistischen Erziehungsmaßnahmen und der demagogischen Kraft von Spiel und Spaß bei der Hitlerjugend. „Inwiefern hat sich die Indoktrination an mich weitervererbt?“, fragt sich Schwaiger, „und wie an die gesamte österreichische Gesellschaft?“ sein Film.

Die Pläne für die architektonische Umgestaltung zu einem Standort der Bundespolizei sind zu diesem Zeitpunkt längst ins Stocken geraten, und die Vorgänge einmal mehr bezeichnend für den Umgang Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit. Angst vor Braunau, so könnte man meinen, haben wohl vor allem die Österreicher:innen selbst. (Eva Königshofen)

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