
Drei Versuche der Gojifizierung
Dokumentarfilm kurz, DE 2024, DCP, 48 min, OmeUSammelprogramm: Kurzdokumentarfilm Programm 1
Michaela Kobsa-Mark will sich „gojifizieren“, also ihre jüdische Identität ablegen, die ihr jede Menge Ballast aufbürdet. Dafür sammelt sie in Berlin Unterschriften. Aber reicht das, damit frau zur Goje werden kann? Drei Selbstversuche führen ins Dickicht der Selbst- und der Fremdwahrnehmung.
Drei Versuche der Gojifizierung
setzt mit einer Situation ein, die jede:r kennt, die:der sich gelegentlich durch Berlin oder eine vergleichbare Großstadt bewegt: Ein sendungsbewusster junger Mensch trägt ein auf den ersten Blick skurriles Anliegen an seine Umwelt heran. In diesem Fall handelt es sich um Michaela Kobsa-Mark, die sich ein Schild mit der Aufschrift „Ich möchte mich gojifizieren. Bitte unterstützt mich!“ um den Hals gehängt hat. Die meisten Passant:innen ignorieren die Störenfriedin souverän. Diejenigen, die stehen bleiben, werden oftmals von dem Fremdwort angelockt, das in der Mehrheitsgesellschaft nicht allzu geläufig ist: „Gojifizierung“ – was ist das? Und warum will sich hier jemand selbst „gojifizieren“, also die traditionell matrilinear vererbte jüdische Identität ablegen? Noch dazu ausgerechnet in Deutschland, dem Land, in dem Jüd:innen einst von Nichtjüd:innen/Goj:es in den Tod geschickt wurden?
Die Reaktionen auf Kobsa-Mark sind unterschiedlich, aber selten eindeutig oder unkompliziert. Der Regisseurin, die sich im Film mit ihrem Körper und ihrer Biografie exponiert, geht es nicht darum, im Stil einschlägiger Fernsehformate mit versteckter Kamera unwissenden Passant:innen aufzulauern oder ihre Gesprächspartner:innen vorzuführen. Was zunächst im bürgerlich-hippen Charlottenburg und später im sozioökonomisch ganz anders codierten Kreuzburg zur Aufführung kommt, sind gemeinsame, spielerische Aushandlungen auf Augenhöhe.
Noch performativer gestalten sich die zwei weiteren Gojifizierungsversuche der Filmemacherin: Wenn ein Plebiszit nicht weiterhilft, dann vielleicht eine Bluttransfusion? Oder, ganz klassisch, ein religiöses Ritual? Klaren Antworten verweigert sich der Film. Sicher ist am Ende nur: Wenn Identität eine Inszenierung ist, kann die Flucht aus ihr ebenfalls nichts anderes als eine Inszenierung sein. (Lukas Foerster)
Buch: Michaela Kobsa-Mark
Darsteller:innen: Michaela Kobsa-Mark, Garry Fischmann, Beyhan Bozkurt, Marianne Gurr, Olaf Kühnemann, Nadezda Krasniqi, Alex Stolze, Yona-Dvir Shalem
Kamera: Markus Ott, Amnon Bikovsky
Schnitt: Michaela Kobsa-Mark
Originalton: Skye Macdonald
Sounddesign: Perschya Chehrazi
Weitere Credits: Farbkorrektur: Markus Ott; Zusätzliche Farbkorrektur: Ebrahim Alfadhala; Regieassistenz: Wal Solon; Produktionsassisrtenz: Leyzer Ber, Wal Solon; Dramaturgische Beratung und Zusätzlicher Schnitt: Revan Sarikaya; Character Development: Sam Hunter
Produzent:innen: Michaela Kobsa-Mark
Uraufführung: Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg 2024
Österreichische Erstaufführung: Diagonale '25
Produktionsformat: digital