
Solvent
Spielfilm, AT 2024, DCP, 94 min, eOF
Die Gegend ist kontaminiert, Schutzanzüge sind unerlässlich: In Unterzögersdorf untersucht Ernst Bartholdi aka Johannes Grenzfurthner mit einem amerikanischen Spezialisten (Jon Gries) und einem (Kamera-)Team die Nazivergangenheit des eigenen Großvaters. In einem alten Haus stößt die Gruppe auf düsterere Geheimnisse und das ultimative – niederösterreichische – Böse. Zum Glück weiß Grenzfurthner, wie man ihm begegnet: Nur Hollywood bezwingt die Wirklichkeit. Er weiß aber auch: Die Wirklichkeit rächt sich, wie immer.
Gunner S. Holbrook (Jon Gries), amerikanischer Exmilitär und Spezialist fürs Aufspüren verschollener Dinge, hat es mit seinem Team ins niederösterreichische Unterzögersdorf verschlagen. Hier will ein gewisser Ernst Bertholdi (Johannes Grenzfurthner himself) Dokumente aus dem Haus seines Nazigroßvaters bergen – Beweise für dessen Tätigkeiten in den Vernichtungslagern Kulmhof und Auschwitz.
Nun ist nicht nur das Haus mit Schimmel überzogen – die gesamte Gegend ist ideologisch-historisch kontaminiert. Weswegen Schutzanzüge unerlässlich sind. Die tauchten schon in Grenzfurthners Doku
Hacking at Leaves
auf. Dort war die Vergangenheit eine Angelegenheit atomarer Strahlung: Wer sich in eine bestimmte Zone begibt, wird verseucht. In
Solvent
ist das Einfallstor der Seuche ein unheimliches Rohr, das in einem Keller aus dem Boden ragt. Solche Kanäle können in Niederösterreich eine Verbindung zum absoluten (niederösterreichischen) Bösen herstellen. Dann helfen auch keine Schutzanzüge mehr. Die Folge: Der Job geht so schief, wie er nur kann. Und schon ist Holbrook auf sich allein gestellt.
Wie
Hacking at Leaves
ist
Solvent
ein ebenso österreichischer wie amerikanischer Film. Hier, in „fucking Schnitzelland“, wird Englisch geredet, und wenn sich das Deutsche doch mal durchsetzt, dann nur damit die Leute ihre Meinung frei äußern – über das Gendern, das Impfen und alternative Medizin. In dieser Hinsicht ist Grenzfurthner ein brillanter und komischer Dokumentarist, der Land und Leuten den Spiegel vorhält. Ohne sich im Spiegelbild zu verlieren.
Grenzfurthner glaubt nämlich kein bisschen an Konzepte wie „Wirklichkeit“, „Authentizität“ und den ganzen Hokuspokus. Vielmehr wird Niederösterreich von Holbrook erforscht wie ein feindseliger Planet in einem amerikanischen Weltraumfilm oder die virtuelle Welt eines Ego-Shooter-Videospiels: Was wir sehen, sehen wir durch eine an Holbrooks Kopf befestigte Kamera, als würde er uns durch eine Simulation steuern.
Denn die niederösterreichische „Wirklichkeit“ ist keineswegs „real“. Die Erinnerung an die Nazis wurde so gründlich verdrängt, dass die Realität selbst abgeschafft wurde. Grenzfurthner weiß: Hollywood und Niederösterreich bezwingen die Wirklichkeit. Er weiß auch: Die Wirklichkeit rächt sich, wie immer. Durch das Rohr im Keller kommt alles hoch und zurück: die Bilder der Nazigräuel, aber auch Öl und Urin. Ausscheidungen der Erde und der Vergangenheit. Gemeinsam mit der Wirklichkeit nimmt dann auch Grenzfurthner Rache. Was nicht bedeutet, dass (Nieder-)Österreich dadurch realer würde. Es wird nur noch viel verstörender. (Philipp Stadelmaier)
Buch: Johannes Grenzfurthner, Ben Roberts
Darsteller:innen: Jon Gries, Aleksandra Cwen, Johannes Grenzfurthner, Roland Gratzer, Jasmin Hagendorfer, Ronald von den Sternen
Kamera: Florian Hofer
Schnitt: Anton Paievski
Originalton: Günther Berger, Michael Casentini, Gary Crause, Daniel Hasibar, Peter Plos
Musik: Pieter de Graaf
Sounddesign: Daniel Hasibar
Kostüm: Frieda Phoenix
Weitere Credits: Executive Producers: Annick Mahnert, Tom Gorai, Bill Straus, Neal Jones; Practical Effects und SFX Make-up: Roman Braunhofer, Thomas Mayr, Matthias Ramon Jaklitsch; Poster Design: Gilles Vranckx
Produzent:innen: Johannes Grenzfurthner, Jasmin Hagendorfer, Günther Friesinger, Julianne Gabert
Produktion: monochrom
Weltvertrieb: DuBow Media Distribution
Gefördert von: BMKÖS – innovative film
Stadt Wien MA 7
Land Niederösterreich Kultur
CINE ART
Uraufführung: Slash Filmfestival 2024
Produktionsformat: digital