Diagonale
Diagonale
Diagonale
Diagonale
Festival des österreichischen Films
27. März - 1. April 2025, Graz

FilmprogrammRegisseur:innen | Spielplan

 

Sonntag, 30.03.
10:30 Uhr, Schubertkino 1

Henry Fonda for President

Dokumentarfilm, AT/DE 2024, DCP, 185 min, OmeU

Alexander Horwaths epischer, zutiefst berührender Kinoessay verknüpft kenntnisreich und elegant die Geschichte Henry Fondas mit jener der Vereinigten Staaten. Dabei entwirft er eine „Politik“ des Schauspielers entlang seiner Filmrollen: Mehrfach spielte Fonda US-Präsidenten und verkörperte ein (unfertiges, stets noch zu erreichendes) Ideal der amerikanischen Demokratie. Wurde Lincoln einst durch Fonda zu einer Figur von John Ford, wird Fonda durch Lincoln zu einer Figur von Horwath. Es ist die Rolle seines Lebens.

„I presume you know who I am.“ Mit diesem Satz beginnt 1939 John Fords Young Mr. Lincoln , gesprochen wird er vom zukünftigen 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten. In Henry Fonda for President von Alexander Horwath kommt dieser Satz jedoch aus dem Mund des Schauspielers, der in Fords Film Lincoln verkörpert: des damals ebenfalls noch jungen Henry Fonda.

Horwath liebt Fonda, und das seit dem Sommer 1980. Damals finden die Olympischen Spiele statt, Ronald Reagan wird zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei gekürt und Horwath macht mit den Eltern Urlaub in Paris, wo er Fonda-Filme im Kino sieht. Gleichzeitig dreht der amerikanische Schauspieler seinen letzten Film, On Golden Pond . Es sind Überlagerungen wie diese, die die Struktur von Horwaths epischem Essayfilm ausmachen, in dem sich Geschichte und Kino kenntnisreich wie elegant, berührend wie unterhaltsam verbinden. Anhand von Fondas Rollen erzählt Horwath die Geschichte(n) des Schauspielers und jene Amerikas – von Ford bis Sergio Leone, von Young Mr. Lincoln bis Once Upon a Time in the West , von den Siedler:innen im 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Alles entfaltet sich in allem, greift ineinander: Familienleben und Filmrollen, Individuum und Kollektiv. Fragmente der Filmgeschichte verbinden sich mit neuen Aufnahmen, dazu Horwaths sonor-verrauchte Erzählstimme. Über jede Minute dieses Films könnte man eine Dissertation schreiben, enthält doch jede Minute Jahre und Jahrhunderte. Doch sobald das Material den Rahmen des Films (und jeder Dissertation) zu sprengen droht, bemächtigt sich der Film wieder des Materials, um es ruhig und souverän weiterzuspinnen.

Mehrfach hat Fonda US-Präsidenten gespielt, ebenso wie „einfache Leute“, unschuldig Verfolgte und tödliche Rächer. Bei Horwath werden diese Rollen zum Ausdruck des „Gewissens“ Amerikas: Sie erinnern an die Verhöhnung der Freiheit durch den Kapitalismus ( The Grapes of Wrath ) ebenso wie an Kolonialismus und Rassismus, Genozid und andere historische Traumata. Und sie erinnern daran durch die physische Präsenz Fondas, als würden Opfer und Täter zu zwei Seiten derselben Medaille und desselben Körpers.

Dieser Körper kreuzt in seinen Rollen mal seine eigene Genealogie, wenn er seine historischen Vorfahren wiederkehren lässt ( Drums Along the Mohawk ), und mal das eigene Schicksal, wenn sein Privatleben plötzlich auf der Leinwand durchzubrechen scheint ( The Wrong Man ). Die eigentliche Geschichte, die hier erzählt wird, ist jedoch weniger jene Amerikas oder Fondas, sondern die verborgene Geschichte eines „unsichtbaren Landes der Schauspielerei“, der „United States of Fonda“. Gerade durch sein zurückgenommenes, abgeschattetes Schauspiel wird Fonda zur Verkörperung einer prekären, immer erst noch zu erlangenden und nie erreichten Idee der amerikanischen Demokratie. Gute Schauspieler:innen „bewahren“ diese Idee als Ideal und Reserve; die schlechten (Reagan, Trump) behaupten, sie zu besitzen, um sie unter Triumphgeheul auszubeuten und zu vernichten. Mit Fonda tritt ein Vertreter der Recht- und Namenlosen, ein Messias der Outlaws gegen diese Hohepriester der Mächtigen und Protagonisten eines Bibelschinkens an, der mit Reagan begonnen hat und in dem wir heute dank Trump im letzten Akt angelangt sind: der Apokalypse.

Man darf nicht vergessen, dass diese „Politik“ weniger die eines Schauspielers ist als die einer Figur namens „Henry Fonda“, die zu allen anderen Fonda-Figuren hinzukommt und bei der es sich um eine Erfindung Horwaths handelt: So wie Lincoln durch Fonda zu einer Figur Fords wurde, wird Fonda durch Lincoln zu einer Figur Horwaths. Die Operation ist dieselbe: Schon Ford interessierte sich nicht für den Staatsmann, sondern für Abe, den Landburschen, so wie Horwath mit Fonda weniger einen idealen Präsidenten der USA präsentiert als schlichtweg einen – schlichten – Mann. Abgesehen davon ist dieser Film über Henry Fonda ebenso ein Film über Alexander Horwath, der sich mit Fonda’scher Bescheidenheit hinter seinem Helden verbirgt. Vergessen wir also die Präsidenten, alle Präsidenten und allen voran jenen der Gegenwart. Cherchez l’homme. (Philipp Stadelmaier)  

Regie: Alexander Horwath
Buch: Alexander Horwath
Kamera: Michael Palm
Schnitt: Michael Palm
Originalton: Michael Palm
Weitere Credits: Künstlerische Mitarbeit: Regina Schlagnitweit
Produzent:innen: Ralph Wieser, Irene Höfer, Andreas Schroth
Produktion: Mischief Films
Koproduktion: Medea Film Factory (DE)
Weltvertrieb: sixpackfilm
Verleih in Österreich: Filmladen
Gefördert von: BMKÖS – Kunst und Kultur
Stadt Wien MA 7
Nordmedia
In Kooperation mit ZDF/ARTE
Uraufführung: Berlinale Forum 2024
Österreichische Erstaufführung: Viennale 2024
Kinostart: 10.01.2024
Produktionsformat: digital

 

Consent Management Platform von Real Cookie Banner