
Noch lange keine Lipizzaner
Dokumentarfilm, AT 2025, DCP, 91 min, OmdU, OmeU
Als die seit ihrer Geburt in Österreich lebende Filmemacherin um die österreichische Staatsbürgerschaft ansucht, muss sie erfahren, dass sie sich in den vergangenen 15 Jahren um 58 Tage zu lang im Ausland aufgehalten hat. Antrag abgelehnt. In ihrer Autodokumentation erforscht Olga Kosanović die bizarren Untiefen und die gefühlten Ungerechtigkeiten des restriktiven österreichischen Einbürgerungsgesetzes.
Olga Kosanović war Österreicherin, bis sie plötzlich keine mehr war. Das Ansuchen der als serbische Staatsbürgerin in Österreich geborenen Filmemacherin auf die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wurde in einem elfseitigen Brief abgelehnt, weil sie sich in den vergangenen 15 Jahren zu lange im Ausland aufgehalten hatte – um exakt 58 Tage. Unter anderem weil sie sich als bekennende Europäerin für ein Studium in Deutschland entschieden und ein Austauschsemester in Prag absolviert hatte.
Ein kurzer Blick auf hiesige Verhältnisse zeigt, dass Kosanović kein Einzelfall ist. Das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz ist eines der restriktivsten der Welt, als Folge besitzen gut 20 Prozent der rund neun Millionen Österreicher:innen – in Wien gar 35 Prozent der Einwohner:innen – nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Exemplarisch macht Kosanović ihren Fall publik („Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich keine Österreicherin bin, hätte ich diesen Film wahrscheinlich nicht gemacht“), die Unterstützung jener, die in der Geburtslotterie mehr Glück hatten, hält sich jedoch in Grenzen: „Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner“, lautet ein lakonischer Kommentar zu ihrem Fall im Internetforum einer österreichischen Tageszeitung, mit dem Kosanović in der Folge immer wieder in einen inneren Dialog tritt.
Paradoxerweise sind just die Lipizzaner als identitätsstiftendes Symbol Österreichs alles andere als ein Produkt ethnonationaler Abgrenzung: In die Zucht, die im slowenischen Lipica stattfindet, wurden neben Arabern und andalusischen Pferden auch italienische Hengste einbezogen So hat eine multikulturelle Mischung zum perfekten Pferd geführt.
Indem Kosanović sowohl marginalisierte als auch prominente Stimmen aus der österreichischen Zivilgesellschaft und wissenschaftliche Positionen zu Wort kommen lässt, wird ihre aus dokumentarischen und fiktionalen Szenen bestehende Autodokumentation zu einem vielstimmigen Dialog über Abgrenzung und Zugehörigkeit, über Demokratiedefizite und Zukunftsvisionen. (Raphael Stüdeli)
Buch: Olga Kosanović
Darsteller:innen: Gabriele Roller, Olga Kosanović, Jeff Ricketts, Elena Wolff, Daniel Wagner, Anna Rieser, Clemens Berndorff u.a. Interviews mit: Judith Kohlenberger, Gerd Valchars, Robert Menasse, Rainer Bauböck, Emil Brix, Balazs Esztegar u.a.
Kamera: Rupert Kasper
Schnitt: Jan Zischka
Originalton: Chuqi Lu, Teresa Schwind, Jan Zischka
Musik: Kyrre Kvam
Sounddesign: Flora Rajakowitsch
Szenenbild: Teresa Wesely, Sophie Rieser, Deniz Raunig
Kostüm: Lisa Heinisch
Produzent:innen: Deniz Raunig
Produktion: April April Filme
Verleih in Österreich: Stadtkino Filmverleih
Gefördert von: BMKÖS – Kunst und Kultur
ÖFI+
ORF Film/Fernseh-Abkommen
Stadt Wien MA 7
Land Niederösterreich Kultur
Zukunftsfonds Österreich
Uraufführung: Filmfestival Max Ophüls Preis 2025
Österreichische Erstaufführung: Diagonale '25
Produktionsformat: analog+digital