Diagonale
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Festival des österreichischen Films
27. März - 1. April 2025, Graz

FilmprogrammRegisseur:innen | Spielplan

 

Sonntag, 30.03.
11:00 Uhr, Rechbauer

„Deutschland, erwache!“

BRD 1968, DCP, 89 min, OmdU (CC) + VI

In seinem Pionierwerk seziert Erwin Leiser die nationalsozialistische Filmpropaganda, mit der das Regime die deutsche Bevölkerung auf seine Ideologie einschwor. Erstmals ermöglichte diese kritische Kompilation, sich mit den 1945 unter „Vorbehalt“ gestellten Machwerken ( Hitlerjunge Quex, Jud Süß, Heimkehr usw.) auseinanderzusetzen. Denn hinter der Parole „Deutschland, erwache!“, so Leiser, „verbarg sich das entgegengesetzte Ziel: einschläfern des Gewissens, des selbstständigen Denkens, des Gefühls für Freiheit und Menschenwürde.“

Ziel der Dokumentation „Deutschland, erwache!“ ist, Gestaltungsmittel und Funktion der NS-Propaganda transparent zu machen. Erwin Leiser beschränkte das Sample klugerweise auf die überschaubare Zahl offen agitatorischer Spielfilme, die nur einen Bruchteil – gewissermaßen den harten Kern – der deutschen Filmproduktion von 1933 bis 1945 ausmachten. Anhand sorgfältig gewählter Ausschnitte aus 26 Filmen analysiert er mit prägnantem erläuterndem Kommentar die vielfältigen Zusammenhänge zwischen nationalsozialistischem Gedankengut und den Drehbuchstoffen. Das erlaubt Zuschauer:innen, sich selbst ein Urteil über das Gezeigte zu bilden.

In elf Kapiteln – zweifellos eine Hommage auf Peter Weiss und die elf Gesänge seines dramatischen Oratoriums Die Ermittlung (1965), die erste künstlerische Auseinandersetzung mit dem „System Auschwitz“ in der Bundesrepublik – arbeitet Leisers Film einige der wesentlichen Motive der NS-Spielfilmpropaganda heraus: vom Heldentod der U-Boot-Besatzung in Morgenrot (1933) über die Rekrutierung der Jugend in Hitlerjunge Quex (1933) und die Verhöhnung des Parlamentarismus in Mein Sohn, der Herr Minister (1937) bis zum Hymnus auf die siegreiche Luftwaffe in Stukas (1941) und schließlich zu den letzten Durchhalteparolen im historischen Schlachtengemälde Kolberg (1945).

Die perfidesten dieser Filme sollten Krieg, millionenfachen Mord und Vernichtung rechtfertigen. So etwa der antisemitische Hetzfilm Jud Süß (1940), der zum Pflichtprogramm für Polizei und SS-Angehörige zählte. Oder das unsägliche Melodram Ich klage an (1941), das für eine Legalisierung der Euthanasie plädierte und damit für die systematische „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Und nicht zuletzt Heimkehr (1941), die berüchtigtste Produktion der Wien-Film, mit der man postfaktisch den deutschen Überfall auf Polen zu rechtfertigen suchte.

Erwin Leiser – 1923 aus Berlin gebürtig, von 1938 bis 1961 im Exil in Schweden, 1996 in Zürich verstorben – stieß mit „Deutschland, erwache!“ auf erhebliche Widerstände und konnte das Projekt erst mit Unterstützung des Norddeutschen Rundfunks (damaliger Fernsehspielchef: der linke Filmemacher Egon Monk) durchsetzen. Abgesehen von den Regisseuren der Propagandafilme – allen voran Veit Harlan, Gustav Ucicky, Hans Steinhoff – werden in seiner Dokumentation bewusst keine Personen genannt. Das mag verwundern, doch Leiser geht es mehr „um das System, nicht um die Verurteilung einzelner seiner Diener“.

Es versteht sich, dass unter diesen auch viele österreichische Schauspieler:innen waren. Dass die Hörbigers, Wesselys, Forsters, Hatheyers ihre Karrieren als Publikumslieblinge vor, während und nach dem „Dritten Reich“ bruchlos fortsetzen konnten, sei hier nur der historischen Vollständigkeit halber dennoch erwähnt. (Michael Omasta)



Eine digitalrestaurierte Fassung, hergestellt und verliehen von Arsenal – Institut für Film und Videokunst.



Mit einer Einführung von Michael Omasta. Kuratiert von SYNEMA. 

Regie: Erwin Leiser
Buch: Erwin Leiser
Schnitt: René Martinet
Produktion: Erwin Leiser Filmproduktion (Berlin)
Uraufführung: 31.1.1968 (Norddeutscher Rundfunk)

 

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