Diagonale
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Festival des österreichischen Films
27. März - 1. April 2025, Graz

FilmprogrammRegisseur:innen | Spielplan

 

Donnerstag, 27.03.
17:30 Uhr, Annenhof Kino 5
Sonntag, 30.03.
20:30 Uhr, KIZ Royal 2

The Shepherds of Calamity (Thanos and Despina)

GR/FR 1967, DCP, 120 min, OmeU

Eine verarmte Frau will ihren Sohn mit der Tochter eines reichen Landbesitzers verheiraten. Doch der weigert sich, seinen Segen zu geben, und verfolgt eigene Pläne. The Shepherds of Calamity – „Die Hirten der Katastrophe“ – entstand nach dem griechischen Militärputsch von 1967, durch den eine rechtsgerichtete Junta die Macht im Land ergriff. Der Film ist ebenso politische Allegorie wie romantische Tragödie. Alles beginnt mit einer explodierenden Ziege – und bleibt auch danach anhaltend verstörend.

Es beginnt mit einer explodierenden Ziege, endet mit einem Sprung in die Freiheit, und auch dazwischen ist einiges los: Thanos, der „Hirte des Chaos“, führt Schafe und Menschen, darunter die Zuschauer:innen des Films, durch eine verstörende Welt, über die die sengende Sonne (zu sehen gleich in der ersten Einstellung) und das gnadenlose Schicksal (bekannt aus griechischen Tragödien) von Anfang an ihr letztes Wort gesprochen haben.

Unausweichlich steuert der zweite, mit französischen Mitteln in Griechenland gedrehte Film von Nikos Papatakis auf den griechischen Militärputsch im Frühjahr 1967 zu, durch den eine rechtsgerichtete Junta die Macht im Land ergriff. Unter der Herrschaft der Obristen, die bis 1974 dauern sollte, fanden auch die Dreharbeiten statt. Und doch gibt es in The Shepherds of Calamity ( Thanos and Despina ) nichts, was die bestehende Ordnung nicht von innen heraus zersetzen würde.

Was geschieht, folgt keinen dramaturgischen Konventionen und keinen psychologischen Mustern, sondern archaischen Zwängen und anarchischen Impulsen. Thanos, ein verarmter Schäfer, will nach Australien. Seine Mutter will ihn mit Despina verheiraten, der Tochter eines vermögenden Landbesitzers. Doch Despinas Vater ist dabei, sie mit einer bürgerlicheren Partie zu verkuppeln. Es gibt noch einen weiteren Interessenten, einen Freund von Thanos, der die von Thanos betreuten Schafe tötet. Dann begegnen sich Thanos und Despina beim Ostergottesdienst, und die Kalamitäten verdichten sich zur Katastrophe.

Ins Korsett einer rückständigen und verrohten, konservativen und patriarchalen Gesellschaft, in der die Landbevölkerung ihrem Elend überlassen ist, führen Thanos und Despina das Element des Chaos und der Freiheit ein. Aber so, dass sich die Freiheit nur im Korsett ausdrücken kann, was sie entstellt und grotesk werden lässt. Man muss sich anschauen, wie Thanos mit seinem toten Hund auf dem Rücken tanzt. Man muss sehen, wie Despina in einem Monolog die progressiven Ideen ihres Bruders zur Sexualität ablehnt – und diese während des Sprechens von ihr Besitz ergreifen. Man muss ertragen, dass die „amour fou“ zwischen Thanos und Despina nicht gewaltlos ist und geprägt bleibt von einer strukturellen Einheit von Sadismus und Unterwürfigkeit. Man muss verstehen, dass die explodierende Ziege am Anfang die „Logik“ des Films enthält: Ein geschlossenes System wird durch inneren Druck zum Platzen gebracht.

Der Hass tritt so deutlich hervor wie die Knochen eines in der Sonne verwesenden Kadavers. Bei den Reichen wie bei den Armen, denn Papatakis hat (ganz wie Buñuel) kein Mitleid mit irgendwem, zeichnet keine Figur „sympathischer“ als die andere. Im Gegenteil: Thanos und seiner Mutter bleibt nur der Hass, „wie eine Nahrung“, sagt die Mutter, wenn es nichts mehr zu essen gibt.

Die schroffe Gebirgslandschaft ist gleichzeitig ein Theater der Phantasmen und Metamorphosen. Wie dem Elend entkommen? Durch eine Reihe von Wandlungen, die eruptiv und unvorhersehbar geschehen. Thanos ist mal Schäfer und mal Verrückter, mal Untertan und mal Revolutionär, mal Analphabet und mal Hippie. In einer genialen Szene wird er sogar zu Christus, dessen Ikone in der Mitte der Kirche so auftaucht wie Thanos in der Mitte der Einstellung. Wie sonst ist es Despina, die ihn in diesem Moment „erkennt“, und wie sonst entzieht sich die Entstehung ihrer Liebe zu ihm „zwischen“ den Bildern der Kontrolle durch die Menschen um sie herum und die Zuschauer:innen des Films.

Beim finalen Showdown zitiert Papatakis das Ende von King Vidors Duel in the Sun , in dem ebenfalls die Geschichte einer Hassliebe erzählt wird. Ein Duell ist auch Thanos and Despina . Zwischen den Liebenden, aber vor allem zwischen ihnen und der Welt, der sie am Ende entgegenspringen, um in ihrem Angesicht zu explodieren, wie eine Ziege unter der sengenden griechischen Sonne. (Philipp Stadelmaier)  

Regie: Nikos Papatakis
Buch: Nikos Papatakis
Darsteller:innen: Olga Karlatos, George Dialegmenos, Lambros Tsagas, Elli Xanthaki
Kamera: Jean Boffety, Christian Guillouet
Schnitt: Suzanne Cabon, Panos Papakyriakopoulos, Geneviève Vaury
Originalton: Antonis Bairaktaris, Alex Pront
Musik: Pierre Barbaud
Kostüm: Rita Sfika
Produzent:innen: Dimos Theos, Samuel Wirer
Produktion: Lenox Films (FR)
Weltvertrieb: Gaumont
Uraufführung: Internationale Filmfestspiele Venedig Wettbewerb 1967

 

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