Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss
US 1989, Farbe, 75 min., OmdU
Diagonale 2016
Regie: Susan Korda, David Leitner
Buch: Susan Korda, David Leitner
Darsteller:innen: Mitwirkende: Nicolas Kukula, Kurt Waldheim, Erwin Ringel, Gerald Teufel, Niki List, Maximilian Schell, Ilya Gerol, Ernst Hallig, Stefan Hofer, Gustav Ernst, Wolfgang Tomek, Peter Malina, Gustav Spann, Thomas Stern, Sonya Oster, Kurt Diemann
Kamera: David Leitner
Schnitt: Susan Korda
Originalton: Susan Korda
Weitere Credits: Uraufführung: 11. Februar 1989, Internationales Forum des jungen Films
Produzent:innen: Susan Korda, David Leitner
Produktion: Leitmotiv Filmproduktion mit Unterstützung der New York Foundation for the Arts
Zeitgleich mit Elizabeth T. Spira
wirft Vienna is Different: 50 Years
after the Anschluss einen weiteren
Blick auf Wien, versammelt Stimmen
von Individuen, Institutionen,
Werbung und Protesten. Vieles
wird gesagt, das man schon kennt,
erhellend aber ist, von wem, in welcher
Weise, an welchen Orten.
Zum Auftakt der Filmmuseum-Reihe: zwei Filme,
in denen vor allem gesprochen wird und in denen
die „gesagten Dinge“ (Michel Foucault) ein Archiv
bilden, das mehr ist als nur ein Protokoll von Aussagen.
Alltagsgeschichte – Am Stammtisch und
Vienna is Different: 50 Years after the Anschluss
kreisen um zwei historische Momente, die die nahtlose
Kontinuität von Geschichte und Gegenwart auf
fast unheimliche Weise verdichten – die Präsidentschaft
Kurt Waldheims und der fünfzigste Jahrestag
des „Anschlusses“ an Nazideutschland. Zwei Filme,
in denen Österreich als (selten, aber gelegentlich
doch auch kritische) Öffentlichkeit zu Wort kommt
– durch die im Staatsgebilde lebenden Individuen,
publizierenden Medien, agierenden Institutionen.
Aus der Gegenwart heraus formieren sich diese Bilder
zu einem brüchigen und facettenreichen Gesellschaftspanorama,
einer Kakofonie gesagter Dinge
zu einem bestimmten Thema, in einer bestimmten
Zeit, an einem bestimmten Ort.
Einige dieser gesagten (aber damals nicht
gehörten) Dinge finden sich im ORF-Archiv in der
einzigen nie ausgestrahlten Folge von Elizabeth
T. Spiras Alltagsgeschichten mit dem Titel Am
Stammtisch. Sie versammelt Wirtshauszusammenkünfte
in Wien, der Steiermark, Tirol und Kärnten.
Schon lange bevor die Gesprächspartner/innen an
Pfeifen-, Jäger-, Schützen- oder Arbeiterstammtischen
ihre Gedanken direkt um Waldheim kreisen
lassen, beschreiben fast alle gesagten Dinge
einen gedanklichen Orbit, in dessen Zentrum Waldheim
steht: Tradition, Jugoslawien-Urlaub, „unsere
Heimat“ (und „Zurück in die Heimat!“), die junge
Generation, die Waffen, die Disziplin und die Türkenkriege.
Ungeschönt spielt Spira das Thema zunächst
über die Bande, um schließlich den faschistoiden
Sud aus Antisemitismus, Geschichtsverleugnung
und erschreckendem Selbstbewusstsein in rauchgeschwängerter
Atmosphäre zum Kochen zu bringen.
Örtlich und geistig nicht ganz so eng gefasst
kommt Österreich 1988 ebenso in Vienna is Different:
50 Years after the Anschluss zum Sprechen.
Auch hier wird nichts Neues mitgeteilt – zu Wort
kommen u. a. beleidigte Holocaust-Leugner/innen
im Trachtenlook, bürgerliche Relativist/innen und
Augenzeug/innen der sogenannten „Reibpartien“.
Wirklich erhellend ist aber, wie und wo gesprochen
wird: Fläzend auf luxuriösen Möbeln unter einem
Waldheim-Bild mit persönlicher Danksagung lassen
sich die idealistischen Forderungen der „jungen
Leut’“ leichter abtun als vor spartanischen Archivregalen
mit Geschichtsdokumenten. Im Theater
werden die Dinge überzeichnet, beim abendlichen
Joint und Wein unter Kreativen hält man zynische
Distanz, während der ORF die harte Gangart der
ausländischen Presse gegenüber Österreich tadelt.
Susan Kordas und David Leitners Film versammelt
all das im öffentlichen Raum Gesagte (inklusive der
vom Waldheim-Thema durchdrungenen Wiener
Werbeflächen) und überträgt es in einen anderen,
nicht weniger öffentlichen Raum – in das Kino, wo die
Vergangenheit nie ganz vergeht. Was 1988 durch
welche Kanäle, in welchen Tonalitäten, begleitet von
welchen Gesten und Grimassen, gekleidet in welche
Räume und Gewänder gesprochen wurde, gehört
auch 2016 noch zum Differenzial von Wien.
(Alejandro Bachmann)