Ehesache Lorenz
Spielfilm, DDR 1959, Schwarzweiß, 78 min.
Diagonale 2016
Regie: Joachim Kunert
Buch: Berta Waterstradt nach ihrem gleichnamigen Bühnenstück
Darsteller:innen: Ahnert, Gerlind (Helga Ritter)
Behrens, Manja (Trude Lorenz)
Brummerhoff, Charlotte (Sekretärin Lamprechts)
Danegger, Mathilde (Lieschen Schliffke)
Flörchinger, Martin (Willi Lorenz)
Frank, Amy (Frau Lehmann)
Garbe, Albert (Albert Schliffke)
Kubitschek, Ruth-Maria
Küter, Charlotte (Mutter Fischer)
Legal, Marga (Schöffin Cavalier)
Ruge, Antje (Elli Lemke)
Schmuck, Lilly (Gitta Lorenz)
Steingraf, Kurt (Kaderleiter Lamprecht)
Stiege, Peter A. (Schöffe Müller)
Thein, Ulrich (Peter Fischer)
Ulrich, Rudolf (Kurt Lemke)
Kamera: Günter Marczinkowsky
Schnitt: Hildegard Conrad
Musik: André Asriel
Szenenbild: Gerhard Helwig
Kostüm: Luise Schmidt
Weitere Credits: Dramaturgie: Hanns Julius Wille
Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme, Erich Albrecht
Die Ehe einer seit mehr als zwanzig
Jahren verheirateten Scheidungsrichterin
gerät in eine Krise, als
ihr Mann, Abteilungsleiter eines
Großbetriebs, sich auf eine Affäre
mit seiner Sekretärin einlässt. Heiter
und nachdenklich zugleich stellt
der Film die Frage, ob es zu einer
Trennung der beiden kommen muss
oder unter welchen Umständen die
Ehe noch zu retten wäre.
Ein Ehepaar steht vor der versierten Scheidungsrichterin,
die anstelle eines schnell gefällten
Urteils eine Lösung finden möchte, die beide Parteien
zufriedenstellt. Der Mann betrügt seine Frau mit
einer Jüngeren, die Gattin vernachlässigt Haushalt
und Kinder. Um die ausweglose Situation in den Griff
zu bekommen, setzt Richterin Trude Lorenz eine
sechsmonatige Bedenkzeit fest, in der das Zusammenleben
noch mal versucht werden soll, um den
endgültigen Bruch zu vermeiden.
Die Richterin weiß noch nicht, dass sie bald
selbst mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein
wird. Trude Lorenz hat ihre juristische Fachausbildung
nicht an einer Universität erworben, sondern –
ganz Vorzeigefrau der sozialistischen Moral – in Lehrgängen
an einer Volksrichterschule, wo „Muttilein“,
wie ihr Ehemann Willi sie gerne nennt, den zweiten
Bildungsweg absolvierte. Ihr Beruf ist ihr mittlerweile
Berufung, überstunden und die nicht erledigte Arbeit,
die sie abends mit nach Hause nimmt, zeugen davon.
Was wiederum ihren Gatten im 24. Ehejahr in die
Arme seiner hübschen Sekretärin Helga treibt, mit
der er als Abteilungsleiter eines Schwermaschinenbau-
Kombinats häufig auf Dienstreise und fremdgeht.
Ungewöhnlich für die späten 1950er-Jahre ist
das starke Frauenbild, das der Film quer durch alle
Altersgruppen und Berufsschichten zeichnet: ob die
Juristin in leitender Position, die nach Hunderten
vollzogenen Scheidungsurteilen nun selbst in einer
Krise steckt, oder ihre unbeschwerte Tochter Gitta,
die ihren Verlobten Peter zwar nicht mit ihren Kochkünsten,
aber im beruflichen Alltag als Modedesignerin
beeindrucken kann. Selbst die Schöffin, die
ihrer Vorgesetzten den Hinweis auf die Affäre ihres
Mannes gibt, trägt positive Züge weiblicher Solidarität,
wie auch die patente Frau Schliffke, Gattin von
Willis Chauffeur und Mutter einer in Leningrad studierenden
Tochter, die jede knifflige Situation mit
gesundem Hausverstand zu lösen weiß. Und selbst
die junge Sekretärin Helga Ritter ist, nachdem sie
erkennen muss, dass sie der Ehebrecher entgegen
seinen Versprechungen nie wirklich heiraten wollte,
sehr pragmatisch am Basteln einer Karriere fernab
der im doppelten Sinne „alten“ Bindungen.
Die im Film fast liebevoll beschriebenen kleinen
Macken jedes einzelnen Charakters sind wohl auch
auf die Drehbuchautorin zurückzuführen, deren Bühnenstück
als Vorlage diente: Berta Waterstradt, Antifaschistin
und Meisterin der komischen Kurzprosa,
eine starke, unbequeme Frau, die ebenso Hörspiele
für den Rundfunk schrieb wie auch die Drehbücher
für zahlreiche DEFA-Produktionen. So hatte sie mit
Regisseur Joachim Kunert bereits bei dessen erstem
Spielfilm Besondere Kennzeichen: keine (1955)
zusammengearbeitet, einem Nachkriegsdrama über
eine Frau, die ohne Mann und ohne Arbeit für ihre
Kinder sorgen muss. Waterstradt war stets die Darstellung
von Alltagssituationen ein Anliegen, die Probleme
der arbeitenden Bevölkerung, der Humor der
Menschen, den sie sich trotz aller Krisen bewahren.
„Hab ich doch immer gesagt“, so lautet die Lebensweisheit
von Chauffeur Schliffke, die er in jeder noch
so brenzligen Lage zitiert. Aber genau seiner Menschenkenntnis,
seiner Aufrichtigkeit und seinem Mitgefühl
ist es zu verdanken, dass es nicht zur „Scheidungssache
Lorenz“ kommt.
(Brigitte Mayr)
In Kooperation mit der DEFA-Stiftung