Grand Central
Spielfilm, FR/AT 2013, Farbe, 90 min., OmeU
Diagonale 2016
Regie: Rebecca Zlotowski
Buch: Gaëlle Macé, Rebecca Zlotowski
Darsteller:innen: Tahar Rahim, Léa Seydoux, Olivier Gourmet, Denis Ménochet, Johan Libéreau, Nahuel Pérez Biscayart u.a.
Kamera: George Lechaptois
Schnitt: Julien Lacheray
Originalton: Cédric Deloche
Musik: Rob
Sounddesign: Alexis Place, Gwennolé Le Borgne
Szenenbild: Antoine Platteau
Kostüm: Chattoune
Produzent:innen: Frédéric Jouve, Gabriele Kranzelbinder
Produktion: Les Films Velvet
Koproduktion: KGP Kranzelbinder Gabriele Production
Als Zeitarbeiter in einem Atomkraftwerk
– dort, wo gesundheitliches
Risiko und Strahlung am stärksten
sind – findet Gary endlich das,
wonach er stets gesucht hat: Geld,
Freundschaft – und möglicherweise
Liebe. Nur ist die Angebetete mit
einem Kollegen verlobt und Gary
alsbald mit einem Liebesdreieck
konfrontiert. Eine fatale Situation,
die in den wiederkehrenden
Warnsirenen ihren beklemmenden
Ausdruck findet. Jeder Tag wird
zur Bedrohung.
Mit der Strahlung sei es wie im Krieg gegen
einen unsichtbaren Feind, meinen Garys altgediente
Kolleg/innen im Atomkraftwerk. Wie wenn der Körper
nach einer unverhofften Verführung momenthaft
an Fassung verliert, konkretisiert Karole (Léa Seydoux)
und veranschaulicht ihre Aussage mit einem
sinnlichen Kuss vor versammelter Entourage. Das
war an Garys (Tahar Rahim) erstem Abend im Trailerpark
der Hilfsarbeiter/innenschaft – der Truppe
fürs Grobe im Mehrklassensystem des Werks. Wo
gesundheitliches Risiko und Strahlung am stärksten
sind, findet der Neuling endlich das, wonach er stets
gesucht hat: Geld, Freundschaft – und möglicherweise
Liebe.
Fortan parallelisiert Rebecca Zlotowski sprichwörtliche
und tatsächliche Spannungsverhältnisse:
zwischen Reaktor und Körper, zwischen den in der
steten Gefahr aufeinander angewiesenen Arbeiter/
innen, zwischen Gary und Karole. In sorgsam
arrangierten Bildern kontrastiert sie deren sexuelle
Annäherung im wildwüchsigen Naturraum mit
der dahinter wütenden Realität, die sich in den
unbarmherzig emporragenden Atommeilern und der
zunehmenden Skepsis von Karoles Verlobtem manifestiert.
Während der esoterisch inspirierte Free-Jazz-
Score die unsichtbaren Schwingungen von Atomkern
und Leidenschaften beschwört, entwickelt
sich ein Liebesdreieck, das in der Fatalität der wiederkehrenden
Warnsirenen seinen beklemmenden
Widerhall findet. Und eine Erzählung, die sich
auch als gesellschaftskritischer Kommentar zur
(gesundheitlichen) Ausbeutung von Niedriglohnarbeitskräften
lesen lässt.
(Sebastian Höglinger, Katalog Diagonale’14)
Das Atomkraftwerk ist ein Ort, an dem man
leicht umkommen kann. Darum ging es mir. Mir war
es auch sehr wichtig, das AKW nicht als hochtechnisierten
Ort zu zeigen. Wenn man ein Atomkraftwerk
betritt, ist man erst einmal geschockt, weil es geradezu
archaisch aussieht, fast wie in einer überdimensionierten
Waschmaschine oder einem riesigen
Eierkocher. Mich interessierte die Hybris, dass wir
versuchen, der Natur unseren Willen aufzuzwingen –
mit der Gefahr der allergrößten Tragödie.
(Rebecca Zlotowski, Der Standard-Interview)