Ich oder Du
Spielfilm, AT 1984, Farbe, 93 min.
Diagonale 2017
Regie: Dieter Berner
Buch: Dieter Berner, Peter Mazzuchelli
Darsteller:innen: Karl Kröpfl, Hansi Lang, Hilde Berger, Rainer Egger, Beate Finckh
Kamera: Walter Kindler
Schnitt: Ingrid Koller
Originalton: Günther Stadelmann
Musik: Hansi Lang
Weitere Credits: Produktionsleitung: Hermann Wolf
Produzent:innen: Michael Wolkenstein, Ulrich Wolkenstein
Ein grandioses Stück Rock-’n’-Roll-Existenzialismus aus Österreich, das den Style des französischen Genrekinos der frühen 1980er-Jahre mit dem Sozialrealismus der Siebziger mischt. Unfassbar: die Naturgewalt Hansi Lang als gefährlicher wie charismatischer
Junkie-Krimineller und New Wave-Sänger. Dieter Berner inszeniert ein dichtes, bildgewaltiges Moralspiel über eine unheilige Ménage-à-trois, in der Lang mit seiner authentisch gegebenen Furiosität, Zerbrechlich-, Widerwärtig- und Großmäuligkeit einen der größeren Auftritte von Musiker/innen in Spielfilmen markiert.
„Komm heraus aus deinem Schatten, denn der gehört den Ratten. Und unter Ratten, da kannst du nur Schlange sein.“
Robert ist ein Rockstar, zumindest möchte er gern groß sein. So verpanzert er sich in grenzenloser Überheblichkeit und Drogenrausch. Zwischen Fladern und Überdosis passiert dann ab und an auch ein neuer Song. Christina ist Roberts zielloses Herzblatt. Sein Nebenbuhler, der steirische Bauernsohn Franzl, will den Hof nicht übernehmen, es zieht ihn in die Großstadt Wien mit all ihren urbanen „Gefahren“. Mit Flyerverkauf und Bruce-Lee-Kampfsport schlägt er sich dürftig durch. Aber wenigstens die Christina, die will auch er haben. Und die, die weiß nicht, was oder wen sie will. Dann kommen eine Schusswaffe und eine Schwangerschaft mit ins Spiel. Wer sich vorausgreifend an Götz Spielmanns Revanche erinnert fühlt, hat vermutlich recht. Hier paart sich der generische Love-&-Hate-Plot genüsslichst mit dem Sozialrealismus der 1970er-Jahre und dem ultracoolen Style des französischen Genrekinos der frühen 1980er-Jahre (La Balance, Diva). Und dann: die Naturgewalt Hansi Lang! Nach einigen Startleuchten (André Heller, Marianne Mendt, Worried Men Skiffle Group) war Austropop mit Wolfgang Ambros 1971 losgebrochen, um bis etwa 1987 mit Georg Danzer, Peter Cornelius, Fendrich, STS, Opus, EAV eine Blütezeit zu erleben, bevor diese lokale Pop-Spielart komplett Richtung Charts-Beliebigkeit verwässerte. Hansi Lang war darin mit Hits wie „Ich spiele Leben“ und „Keine Angst“ Fixbestandteil wie die große Ausnahme (neben dem Obszön-Vaudeville von Drahdiwaberl). Denn Hansi bedeutete nicht nur Schmiere und Mundart. Er bedeutete Leidenschaft, Gefährlichkeit, in vollsten Zügen gelebte Kaputtheit. Ein echtes seelenzerfetztes Hernalser New-York-Dolls-Pendant. Seit den frühen 1970er-Jahren in Bands wie Nostradamus, Lord Proof and the Proofcats, Plastic Drug, zuletzt Hallucination Company als Sänger aktiv, wurde er mit den 1980er-Jahren die Kernfigur des U4 und des „hinnichen“ Wien nebst Falco. Der wurde auch vor ihm für die Hauptrolle in Ich oder Du gecastet, und man darf den Fußboden der Filmgeschichte küssen, dass es kam, wie es kam. Denn Hansi, zerbrechlich, widerwärtig, großmäulig, furios, überstrahlt hier alles, selbst gelegentliche Stereotype und Moralismen (Drogen sind böse!), die immer wieder aufflackern. Der Musiker war selbst gerade auf dem Höhepunkt seines realen Kampfs mit der Heroinsucht und verschwand kurz darauf in einem dreijährigen Entzug. Dieter Berner (Alpensaga, Egon Schiele – Tod und Mädchen) inszeniert ihn hier jede Millisekunde als Weltstar, in all seiner kaputten Glorie. Walter Kindlers Kamera, entfesselt wie sonst nur bei Patzak, lässt Wien im schönsten Grind als glamourös-grimme Weltstadt aufröhren, dass es eine Freude ist: von den Junkie-Toiletten der Mariahilfer Straße, die bodensichtig abgefahren werden wie ein Zugmassaker bei Sergio Leone, bis zum räudigen Headbanger-Hotspot, der Erdberger Arena.
(Katalogtext, Paul Poet)
Austro-Pop-Film
Starschnitt-positionen zum österreichischen Kino (1976–1985)
Falco war gestern. Die Gegenwart heißt Wanda, Bilderbuch und Voodoo Jürgens. Dreißig Jahre nach den Welthits des Johann Hölzel schickt sich Österreich wieder an, eine Pop-Nation zu werden. Den Hype zum Anlass nehmend blickt das Filmarchiv Austria zurück: auf die erste große Welle des Austropops, als lokale Sängerikonen wie Ambros, Fendrich und Hansi Lang nicht nur die Charts hochrasten, sondern auch die Kinoleinwände bevölkerten – mit durchaus sehenswerten Ergebnissen. Bonustrack: zwei filmische Zeitkapseln als aus dem ORF-Archiv.