Emigration, N.Y. - Die Geschichte einer Vertreibung
Dokumentarfilm, AT 1996, Farbe+SW, 179 min., OmeU
Diagonale 2018
Regie, Buch: Egon Humer
Kamera: Peter Roehsler
Schnitt: Karina Ressler
Originalton: Bruno Pisek
Weitere Credits: Recherche und
Beratung: Amos Vogel
Organisation New York: Marcia Vogel
Produktionsbetreuung: Michael Kitzberger
Produktion: Prisma Film- und Fernsehproduktion
Zwölf jüdische Frauen und Männer,
die zwischen 1938 und 1941 aus
Österreich vertrieben wurden, berichten
von ihrer Identitätssuche in den
USA, ihren Ängsten und Hoffnungen.
Die Kamera verweilt halbnah auf den Gesichtern
der Erzählenden. Die Erinnerungen der sieben Frauen
und fünf Männer setzen im März des Jahres 1938
ein, als die Nazis triumphalen Einzug in Wien halten.
Sie haben den „Anschluss“ miterlebt, zwölf österreichische
Jüdinnen und Juden, die als Kinder und
Jugendliche vertrieben wurden und seit über einem
halben Jahrhundert in New York leben: die Malerin
Rosa Ully Axelrod, die Psychologinnen Ann Branden
und Gertrud M. Kurth, die Literaturwissenschaftlerin
Susanne Edelmann, die Germanistin und feministische
Schriftstellerin Eva Kollisch, der Rechtswissenschaftler
Frank P. Grad, die Pianistin Lisa Grad, die
Kinderbuchautorin Doris Orgel, der Ingenieur Frank
Eisinger, der Arzt und Journalist Karl Neumann, der
Berater und Datenverarbeiter Henry Wegner sowie
der Filmkritiker und -kurator Amos Vogel.
Die Gespräche mit ihnen bilden den Kern von
Egon Humers zweiteiliger Dokumentation Emigration,
N.Y., die in Rego Park, Great Neck, St. James,
Forest Hills, New York City gedreht wurde, wobei die
individuellen Erinnerungen ebenso wichtig sind wie
die Summe der Erzählungen: eine Geschichte der
Vertreibung.
Der Film besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil
beschreibt die Zeit bis zur Flucht nach New York, der
zweite die Ankunft in der Stadt und die Lebensgeschichten
der Protagonist/innen bis heute.
Der Person des Filmemachers quasi vorgelagert
ist die des vermutlich prominentesten der zwölf
Emigrant/innen, des damals 75-jährigen Amos Vogel.
Als Berater des Regisseurs, u. a. was die Auswahl der Gesprächspartner/innen betraf, kommt ihm sowohl
bei der Vorbereitung als auch im Film selbst eine
ganz wesentliche Rolle zu. Über ihn erschließt sich in
Emigration, N.Y. noch ein zweiter, wenn man so will
innerer Dialog, fügen sich die einzelnen Schicksale zu
einer Art kollektiver Biografie.
Ein Bild vom März 1938, das sich für immer in der
Erinnerung einbrannte: ein Schild auf einer Bank –
„Hunden und Juden ist es verboten hier zu sitzen“. Der
Staat, der seine Bürger/innen schützen sollte, hatte
über Nacht einem Teil der Bevölkerung, so auch der
Familie von Amos Vogel, alle Rechte aufgekündigt: Er
wurde seiner Heimat beraubt, seiner Freund/innen,
seiner Lieben, seiner Muttersprache. Das Trauma,
das die Ereignisse der folgenden Wochen und Monate
hinterließen, ehe er mit der Familie über Hamburg
und Kuba nach Amerika kam, hat Amos Vogel nie
überwunden.
In Emigration, N.Y. gibt es keine einfachen Antworten
mehr. Schon gar nicht auf eine Frage wie die,
die sich Amos Vogel – im Unterschied zur Mehrzahl
der Befragten spricht er ausschließlich Englisch –
gegen Ende des Films selbst stellt: Ob ich mich heute
noch als Opfer fühle? „First answer! Yes, of course,
forever, as long as I live. Second answer: No, I’m no
longer a victim. I think, I’ve overcome this.“
(Katalogtext, Brigitte Mayr, Michael Omasta)