Zechmeister
Spielfilm, AT 1981, Farbe, 80 min.
Diagonale 2018
Regie, Buch: Angela Summereder
Darsteller:innen: Asher Mendelssohn, Herbert Adamec, Dietrich Siegel, Michael Totz
Kamera: Hille Sagel
Sounddesign: Don King
Weitere Credits: Montage: Dörte Völz
Produktion: Monika Maruschko
Ein Haus auf dem Land kann ein
„Home away from Home“ sein,
das Ruhe, Abgeschiedenheit,
Komfort bietet. So inszeniert die
Filmamateurin Margret Veit das
Sommerhaus der Familie am Attersee.
Ebensolche Häuser werden
in Angela Summereders überzeichnet-
verfremdeten Sittenbild
Zechmeister nach Hinweisen auf
einen Mord durchsucht und sind in
Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte
Tatorte. Was hier passiert und
besprochen wird, landet früher
oder später am Stammtisch, wo die
Stimmung kippt und das Kollektiv
ein Urteil über das Individuum
spricht. Oder mit Bert Rebhandl:
„Die tatsächlichen Tatbestände und
die öffentliche Meinung darüber
beginnen sich zu überlagern, faktische
Wahrheit und deren Gehalt
fallen auseinander.“ So schreibt der
letzte Film im Programm nicht die
Geschichte der Stadt Knittelfeld,
sondern die Geschichte einer Stadt
wie Knittelfeld.
Im Sommer 1966 filmt die passionierte Filmamateurin
Margret Veit das Ferienhaus am Attersee.
Für die Familie aus der Stadt erfüllt sich hier ein
Ideal, die Bilder streicheln förmlich Architektur und
Einrichtungsgegenstände, artikulieren das Glück,
die Ruhe, die Harmonie, die ein Sommerhaus auf
dem Land verspricht.
Ebensolche Häuser – mit schweren Holzmöbeln,
handgemachten Deckchen, Landschaftsgemälden –
werden in Angela Summereders Zechmeister von
den zwei Kommissaren auf den Kopf gestellt, die
den unnatürlichen Tod des Anton Zechmeister im
Innviertel im Jahre 1948 aufklären wollen. Schnell
ist man sich einig, die Frau müsse es gewesen sein,
mit Gift habe sie ihn getötet. Summereder lässt
1981 sowohl die lebenslänglich Verurteilte zu Wort
kommen, setzt diverse Beweise, Schriftstücke,
Gesprächsprotokolle ins Bild und rekonstruiert den
Fall, genauer den Versuch einer Urteilsfindung, durch
ein ausschließlich von Männern besetztes Schwurgericht
als überzeichnet-verfremdete Inszenierung.
Wie auch die ermittelnde Polizei stützt sich die
Beweisführung hauptsächlich auf die Gerüchte und
die vagen Beschuldigungen der Dorfgemeinschaft,
die der Film als verschworene Stammtischgemeinde,
als brabbelndes Rudel inszeniert. Provinz, das
ist in Zechmeister etwas Unheimliches und Raues,
wo es unter der glatten Oberfläche brodelt und sich
das Dorf gegen das „verhaltensauffällige“ Individuum
verschwört. Das Aufrollen des Falls macht zum
einen die Engmaschigkeit der dörflichen Gemeinschaft
sichtbar, verlängert den Fall aber auch in die
Vergangenheit hinein, erzählt vom Verbleiben der
Kriegserfahrung in Mensch und Landschaft. Immer
wieder zeigt uns Summereder Landstriche der
Umgebung, die bis auf die strukturgebenden Raster
der Landwirtschaft unberührt und friedlich daliegen.
Auf der Tonspur hebt dann ein geisterhafter Ton an,
der vielleicht nicht zufällig an Kubricks The Shining
erinnert und die Betrachter/innen dann doch auffällig
geisterhafte Spuren auf den das Dorf umgebenden
Äckern sehen lässt.
Solchen Spuren geht auch Gerhard Benedikt
Friedl in Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte nach,
hinterlassen von der Familie Pritz, deren Genealogie
der Film im Ton nacherzählt: von Spielschulden,
die zum Mord führen, von Schießübungen, die
eine Fahrradfahrerin treffen, von einem Vater, der
das schreiende Kind zu Tode prügelt, von gestohlenem
Werkzeug und einer Überdosis Heroin. Diesen
Katalog desaströser Ereignisse unterlegt Friedl mit
ruhigen Totalen und langen Panoramaschwenks
der Kleinstadt, die nichts davon sichtbar wiederzugeben
scheint: Das Leben in der Provinz geht weiter
– im Stadtkern, bei Julius Meinl, Kleider Bauer,
Elektromarkt-Binder und der Parfümerie Holzerl, im
Neubaugebiet und bei der Haftanstalt, entlang der
stillgelegten Stahlfabriken und in den nicht ganz so
gepflegten Randbezirken – und formiert sich gegen
die Aussätzigen: „Die tatsächlichen Tatbestände
und die öffentliche Meinung darüber beginnen sich
zu überlagern, faktische Wahrheit und deren Gehalt
fallen auseinander, und so verhält es sich mit dem
Film, der nicht die Geschichte der Stadt Knittelfeld
schreibt, sondern die Geschichte einer Stadt wie
Knittelfeld.“ (Bert Rebhandl)
(Katalogtext, Alejandro Bachmann)