Chaos
Spielfilm, AT/SY/LB/QA 2018, Farbe, 95 min., 20.3. OmeU / 22.3. OmdU
Diagonale 2019
Regie, Buch, Kamera: Sara Fattahi
Darsteller:innen: Raja, Heba, Jaschka Lämmert
Schnitt: Raya Yamisha
Originalton: Sara Fattahi, Bruno Pisek
Musik: Nadim Husni
Sounddesign: Lenja Gathmann
Produzent:innen: Paolo Calamita
Produktion: Little Magnet Films GmbH
Bilder jenseits des Sagbaren.
Chaos erzählt die Geschichten
dreier Frauen aus Damaskus, die
mit dem Nachhall traumatischer
Kriegserfahrungen zurechtkommen
müssen. Jede von ihnen befindet
sich an einem anderen Ort, in einer
anderen Situation. Sara Fattahi
entfaltet, was die Frauen eint:
seelische Wunden. Ein sensibel
komponierter Filmessay, der das
innere Empfinden gleichermaßen
ausdrückt wie adressiert.
Chaos erzählt die Geschichten dreier Frauen
aus Damaskus, die mit dem Nachhall traumatischer
Kriegserfahrungen zurechtkommen müssen. Jede
von ihnen – eine ist die syrische Filmemacherin selbst –
befindet sich an einem anderen Ort, in einer anderen
Situation. Behutsam spannt Sara Fattahi in diesem
Filmessay auf, was die Frauen eint: seelische Wunden,
die sich unsichtbar im Innersten eingenistet haben.
Auch der Krieg ist in Chaos nicht zu sehen – und
doch ist das Abwesende gegenwärtig, hängt wie
ein Nebel dumpf über den Bildern: Eine der Frauen
lebt noch immer in Damaskus. Schwarze Vorhänge
isolieren sie von der Außenwelt. Gefangen in ihrer
Trauer wandert sie in den dunklen Schattenwürfen
ihrer Wohnung umher, in der sie Tag für Tag ihrem
ermordeten Sohn frische Wäsche zurechtlegt – in
einer Stille, die keine Ruhe, sondern stumme Sprache
dieses Films ist. Während die eine aufgehört hat,
mit der Außenwelt zu kommunizieren, versucht eine
andere, den Schmerz und die Ängste auszudrücken,
die sie immer wieder den Halt verlieren lassen. Im
schwedischen Exil probiert die junge Künstlerin, ihre
bitteren Erinnerungen in Bilder und Collagen zu sperren.
In kühlen Nahaufnahmen haftet die Kamera konzentriert
auf Ausschnitten ihres Gesichts und folgt
dem Blick aus dem Fenster nur selten, verweilt mit
ihr in der Enge. Kristalline Spiegelbilder lassen die
Silhouette der jungen Frau verrutschen, als würde
sich ein entfremdeter Teil von ihr abspalten wollen.
In Wien lässt Sara Fattahi eine Schauspielerin als ihr
Alter Ego durch die Gassen streifen. Wie eine Doppelgängerin,
das Gesicht der Kamera nie zugewandt
und ausgeschickt, sich in der fremden Umgebung zu
verorten. Diesen Kunstgriff verbindet sie mit Gedichten
zu Krieg und Exil von Ingeborg Bachmann, deren
Stimme auch in Auszügen eines Radiointerviews zu
hören ist: „Über den Krieg kann jeder etwas schreiben.
Der Krieg ist immer schrecklich, aber über den
Frieden etwas zu schreiben – über das, was wir Frieden
nennen, denn das ist der Krieg. Der wirkliche
Krieg ist nur die Explosion dieses Kriegs, der der
Frieden ist.“
Ohne eine vereinfachende Ordnung oder Bedeutungshierarchie
für die Fragmente hervorbringen zu
wollen, sucht Chaos nach etwas, das jenseits des
Sichtbaren und Sagbaren liegt. Sara Fattahi findet
in diesem intimen Film sensibel komponierte Bilder
voller Feingefühl, die das innere Empfinden gleichermaßen
ausdrücken wie adressieren.
(Katalogtext, jk)