| Filmgeschichte | Aus dem Giftschrank |
DAS TOXISCHE ERBE DER WIEN-FILM
Von Brigitte Mayr

Paula Wessely bei den Dreharbeiten zu Heimkehr von Gustav Ucicky © Filmarchiv Austria
Ist von der Wien-Film die Rede, so werden damit vorrangig Operettenseligkeit, nostalgische Melodramen oder beschwingte Lustspiele mit bekannten Publikumslieblingen assoziiert. Ausgeklammert wird dabei jenes toxische filmische Erbe, das nach dem „Anschluss“ Österreichs bis zum Kriegsende unter dem direkten Einfluss des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda hauptsächlich in den Ateliers am Rosenhügel gedreht wurde. Joseph Goebbels’ Kalkül, den Film als eines der wichtigen „Massenbeeinflussungsmittel“ zu nutzen, ging voll auf, eignet sich doch das, was die Leute im Kino sehen und was auch nach dem Besuch der „Lichtspielhäuser“ weiter hinausgetragen wird, wesentlich besser zur Steuerung von Werturteilen und Verhaltensnormen als die offene Agitation.
Von den in der Zeit des „Dritten Reichs“ von 1933 bis 1945 mehr als 1.200 hergestellten Spielfilmen sind bis heute an die 40, darunter Jud Süß, Kolberg, Hitlerjunge Quex, Ohm Krüger oder Ich klage an, als „Vorbehaltsfilme“ noch immer unter Verschluss oder nur eingeschränkt zugänglich, d. h., jedes Screening muss von einer fachkundigen Einführung begleitet werden. Von diesen Filmen „aus dem Giftschrank“ interessieren uns besonders die Produktionen der Wien-Film während der NS-Zeit, die zwar dem deutschen Markt zugerechneten, tatsächlich aber in Österreich von 1939 bis 1945 entstandenen Propagandawerke. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen wie Kontrolle der Filmwirtschaft, Zwangsmitgliedschaft in der Reichskulturkammer, strenge Zensur, „Arisierungen“, Repressionen gegen „nichtarische“ sowie stringente Förderung einzelner („Staats“-)Künstler:innen und Unternehmen war die „ostmärkische“ Filmindustrie als ein wichtiger Teil des NS-Propagandaapparates installiert worden.
Propaganda getarnt als kleinbürgerlicher Heurigen-Kitsch
Eine Raute mit einem darin eingeschlossenen Violinschlüssel als musisches Signum, das seinen Namensträger programmatisch darstellt: So präsentierte man die 1938 aus der Tobis-Sascha hervorgegangene Wien-Film, deren Gründung eine tragfähige wirtschaftliche und industrielle Basis garantierte, von der aus Stoffe und Ästhetik eines genuin österreichischen, besser noch Wiener Films vermittelt werden sollten. Unter den insgesamt 50 während des Zweiten Weltkriegs hergestellten Produktionen wie Anton der Letzte, Unsterblicher Walzer, Operette, Der Postmeister und Schrammeln sind nur wenige offen propagandistische zu finden, wie etwa Heimkehr (1941) mit Paula Wessely, den Elfriede Jelinek – die in ihr Theaterstück Burgtheater (1985) Teile des hetzerischen Filmdialogs mit einschrieb – für den „schlimmsten Propagandaspielfilm der Nazis überhaupt“ hält.
Mit diesem historischen Special zollen wir jenen gerne totgeschwiegenen Propagandastreifen der Wien-Film die Aufmerksamkeit, der es bedarf, ihren Entstehungsprozess und ihre Machart zu hinterfragen, die perfiden Manipulationsversuche durch mehr oder weniger offene Agitation aufzuzeigen, um sie letztendlich richtig einzuordnen. In dem Band Wien 1945. davor/danach lieferte der Filmemacher Bernhard Frankfurter 1985 eine stringente „Abrechnung mit der Wien-Film“, die „mit kleinbürgerlichem Heurigen-Kitsch unverhohlen Stimmung für das nationalsozialistische Regime“ machte. Frankfurter analysiert messerscharf vor allem den Exodus des dadurch vertriebenen künstlerischen Fachpersonals: „Österreichs filmische Annexion war schon seit 1934 zügig vorangegangen. Parallel zu dieser Restauration und zur Installierung eines NS-kontrollierten Filmschaffens wurde die Säuberung sowohl direkt als auch indirekt betrieben, eine ungeheure Zahl potenter Filmschaffender so in die innere, vor allem aber in die wirkliche Emigration gezwungen.“
Die verdrängte Wahrheit
Das in diesem Zusammenhang so gerne gebräuchliche „Man habe ja von nichts gewusst“ lässt sich heute durch Zugang in Archive leicht widerlegen. Karl Hartl, der umtriebige Produktionschef der Wien-Film in jener Zeit und in ungebrochener Kontinuität vor, im und nach dem Krieg tätig, biedert sich mit seinem Beitrag „Wir machen Wiener Filme“ in der illustrierten Film- und Kinorundschau Mein Film in Wien am 10. März 1939 dem Regime devot an: „Wenn wir nun darangehen, im Rahmen der großdeutschen Filmherstellung ‚Wiener Filme‘ zu machen, so soll das sagen, daß wir versuchen wollen bei jedem uns selbst und unser Herz sprechen zu lassen, […] überhaupt in erster Linie Stoffe pflegen, die mit dem Wiener Milieu besonders verbunden sind. Schließlich besteht ja auch die Gruppe, die die Leitung bildet, vor allem aus Wiener ‚Heimkehrern‘. Wir, die wir so viele Jahre draußen waren, haben Berlin viel zu danken. Nicht nur für die Gastfreundschaft, die uns nie spüren ließ, daß wir eigentlich doch nicht so ganz hingehörten, sondern auch für die Arbeits-Möglichkeiten, die uns dort geboten wurden. So wollen wir jetzt, nach der Wiedervereinigung unserer engeren Heimat mit dem Deutschen Reich bestrebt sein, die Kenntnisse, die wir uns drüben erwarben, im reichsten Maße auszuwerten und auf diese Weise ein bißchen unseren Dank abzustatten.“
Diese Ungeheuerlichkeiten korrigierend hier nochmals Bernhard Frankfurter: „In der Tat scheint die Wien-Film ein Sonderfall recht wienerischer Art gewesen zu sein, der in der Wahrnehmung von Film- und Kulturgeschichte ein ausgezeichneter Vorwand war und ist, die Legende einer von der sonstigen Filmpolitik des Dritten Reichs abgedockten Produktionsstätte aufrecht zu erhalten und mittels abgelutschter Phrasen entlastend zu wiederholen. Die Selbständigkeit der Wien-Film in der Gesamtheit der NS-Filmwirtschaft und des NS-Filmschaffens ist daher ebenso Legende. Die scheinbar politisch unverbindlichen Produktionen der Wien-Film waren nicht Resultate einer Sonderstellung, erobert durch wienerisches Widerständlertum, durch phantasiegespeiste Distanz von Berlin und durch charmant garnierte Verweigerung, sondern einer gezielten Maßnahme der NS-Filmproduktion.“
Im Nachkriegsösterreich vergaß man gerne, dass die Wien-Film ursprünglich eine von den Nazis nach dem „Anschluss“ ins Leben gerufene Institution war, der Enteignungen und die obligate Vertreibung jüdischer Mitarbeiter:innen vorausgingen. Diesen Erinnerungslücken wird entgegengearbeitet: mit dem Zeigen der Filme, dem Einordnen in den historischen Kontext, der Analyse propagandistischer Strategien und der Diskussion mit dem Publikum. So bietet das Festival mit diesem SYNEMA-Special Raum für eine visuelle Reise zur dunklen Seite des Kinos und eine Replik auf den schwierigen Umgang mit dem Nazi-Filmerbe.
Ein Diagonale-Special, kuratiert von SYNEMA
Brigitte Mayr, Michael Omasta