Österreichisches Filmmuseum
Filmische Widerreden: Österreich, die Waldheim-Jahre
Über das Medium Film reflektieren fünf Programme des Filmmuseums einen Wendepunkt in der Nachkriegsgeschichte Österreichs: die Präsidentschaftskandidatur von Kurt Waldheim vor genau dreißig Jahren. Die für die Diagonale’16 versammelten Werke verstehen sich als filmische Widerreden, stören sie doch genau jene Österreichrhetorik, mit der Waldheim seine eigene Person und seine Rolle im und nach dem Zweiten Weltkrieg zu konstruieren suchte. Zum Auftakt: die einzige bislang nie ausgestrahlte Alltagsgeschichte von Elizabeth T. Spira. Am Stammtisch versammelt Wirtshaus-zusammenkünfte in ganz Österreich. Was die Gesprächspartner/innen dort mit erschreckendem Selbstbewusstsein zum Besten geben, beschreibt einen gedanklichen Orbit, in dessen Zentrum Waldheim steht. Spiras Fernseharbeit wird dem US-amerikanischen Kinodokumentarfilm Vienna Is Different: 50 Years after the Anschluss gegenübergestellt: Örtlich und geistig nicht ganz so eng gefasst kommt auch hier das Österreich des Jahres 1988 zum Sprechen. Klassiker wie Die Ausgesperrten (Franz Novotny, 1982), Die papierene Brücke (Ruth Beckermann, 1987) oder Der siebente Kontinent (Michael Haneke, 1989) stehen für weitere Formen der Widerrede und sind sich zugleich nah in ihrer Suche nach den Verschränkungen von Politik, Geschichte und Gesellschaft.
Die Diagonale freut sich, dass Oscar- und Cannes-Preisträger Michael Haneke am Sonntag, dem 13. März 2016, im Anschluss an das Screening von Der siebente Kontinent persönlich für ein Gespräch mit dem Direktor des österreichischen Filmmuseums Alexander Horwath in Graz zugegen sein wird.
Programm 1: Sprechen
Alltagsgeschichte – Am Stammtisch. Ein Heimatfilm von Elizabeth T. Spira (Elizabeth T. Spira, 1988)
Vienna is Different (Susan Korda, David Leitner 1989)
Programm 2: Schreien
Die Ausgesperrten (Franz Novotny, 1982)
Republikanischer Club Neues Österreich zeigt …. (Franz Novotny, 1986)
Programm 3: Suchen
Die papierene Brücke (Ruth Beckermann, 1987)
Programm 4: Erinnern
Heidenlöcher (Wolfram Paulus, 1986)
Heldenplatz, 12. März 1988 (Johannes Rosenberger, 1988–1991)
Programm 5: Fliehen
Der siebente Kontinent (Michael Haneke, 1989)
Ruth Beckermann: Waldheim oder The Art of Forgetting
Work in Progress: Sa 12. März 2016, 14.00 Uhr, Schubertkino 2
Moderation: Bert Rebhandl
Ausgangspunkt für Ruth Beckermanns neuestes Filmprojekt war ein Fund: Aufnahmen, die sie während des Präsidentschaftswahlkampfs Kurt Waldheims auf dem Wiener Karmelitermarkt gedreht hatte. Das Material zeigt, so die Filmemacherin, „die Wut, den Hass und das Elend in den Gesichtern der Menschen, die mehrheitlich der sogenannten Kriegsgeneration angehörten.
Es zeigt darüber hinaus, welche Emotionen gegen andere sich in aufgeheizter Stimmung Luft machen.“ In der Präsentation ihres Work in Progress und im zugehörigen Werkstattgespräch geht Beckermann der Frage nach, wie es zum Zusammenbruch des Opfermythos und zum Aufbruch zu einer freieren Gesellschaft kam. Denn nicht zufällig tritt heute, in einer Zeit, in der rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien in Europa an Zulauf gewinnen, das Jahr 1986 ins Blickfeld der Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen, die von den Ereignissen rund um die Waldheim-Affäre lediglich durch Erzählungen, Bücher und Filme erfuhr: „Was führte zu diesem historischen Moment Mitte der 1980er-Jahre, als sowohl in Österreich als auch international etwas aufbrach? Als die Lüge von ‚Österreich als erstem Opfer‘ wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel, was einerseits zu befreiender Klarheit führte, andererseits der Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit eine neue Wende gab?“
Zu den Werkstattgesprächen …