Historisches Special FINALE
Die Diagonale freut sich, zwei Spezialprogramme bekanntgeben zu dürfen, die im März beim Festival des österreichischen Films zu sehen sein werden. Das erste historische Special der Diagonale’23 ist mit dem Titel FINALE überschrieben und umfasst fünf Programme, die gemeinsam mit dem Filmarchiv Austria und dem Österreichischen Filmmuseum sowie unter Mitarbeit des ORF-Archivs ausgewählt wurden. Im zweiten historischen Special Aktion! Action! widmen sich SYNEMA – Gesellschaft für Film und Medien und Diagonale dem Filmemacher, Kritiker und Autor Bernhard Frankfurter (1946–1999).
Der Gegenwart ist ein gewisser Hang zum Finale – zur finalen Zuspitzung – nicht abzusprechen. Wie aber ist es in einer Filmkultur wie der österreichischen mit ihrer Nähe zum Abgründigen, Doppelbödigen und Fatalen um das Finale bestellt? Das diesjährige historische Special FINALE führt vom Westernthemenpark über die Zombieapokalypse bis hin zur Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich. Mit im (Fest-)Spieltagskader: Regisseur*innen wie Florian Flicker, Michael Glawogger, Jörg Kalt, Käthe Kratz, Marvin Kren, Georg Lhotsky, Sabine Marte, Andreas Prochaska, Viktoria Schmid und Brigitte Weich.
Die historischen Specials FINALE und Aktion! Action! sind vom 22. bis 26. März bei der Diagonale’23 in Graz zu sehen und bieten die rare Gelegenheit, teils eigens digitalisierte und restaurierte Arbeiten aus den heimischen Filmarchiven fernab der Hauptstadt zu sehen.
Filmprogramm FINALE
Kapitel I „Showdown“
— Das finstere Tal (R: Andreas Prochaska, AT 2014)
— No Name City (R: Florian Flicker, Georg Misch, AT 2002)
— W O W (Kodak) (R: Viktoria Schmid, AT 2018)
Kapitel II „Das Ende unserer Zeit“
— Rammbock (R: Marvin Kren, DE 2010)
— Richtung Zukunft durch die Nacht (R: Jörg Kalt, AT 2002)
Kapitel III „Endspiel“
— Frankreich, wir kommen! (R: Michael Glawogger, AT 1999)
— Finale (R: Sabine Marte, AT 2007)
— Hana, dul, sed … (R: Brigitte Weich, AT 2009)
Kapitel IV „Zeitenwende“
— Moos auf den Steinen (R: Georg Lhotsky, AT 1968)
Kapitel V „Final Generation“
— ATEMNOT (R: Käthe Kratz, AT 1984)
ergänzt um Fundstücke aus dem ORF-Archiv
Der Gegenwart ist ein gewisser Hang zum Finale nicht abzusprechen: Krieg, Umweltkatastrophen und die Angst vor einem atomaren Unglück sind gegenwärtig aktuell wie lange nicht mehr – auch wenn die Warnungen vor der Klimakrise die Sorge um das Waldsterben abgelöst haben. Zivilgesellschaftliche Initiativen gleichwie radikale Gruppen jedweder Couleur warnen eindringlich vor dem Niedergang des bestehenden zivilisatorischen Status quo und betonen die pressierende Unausweichlichkeit, gerade jetzt, also ehe es zu spät ist, aktiv zu werden. Vorstellungen vom Finale – von Apocalypse Now bis zu spannungsgeladenen, dramaturgischen Zuspitzungen – sind dabei kulturindustriell eingeübt. Im Kino etwa hängt der Lauf der Geschichte nicht selten von der Handlung einer einzelnen Person ab. Manchmal ist dabei mit Geschichte gar der Verlauf der Menschheitsgeschichte oder aber – nicht weniger epochal – das private Glück frisch Verliebter gemeint.
Wie ist es nun in einer Kultur wie der österreichischen, der eine gewisse Nähe zum Abgründigen, Doppelbödigen, Fatalen nicht gänzlich abzusprechen ist, um das Finale im Film bestellt? Eine Spurensuche auf der Leinwand in fünf Kapiteln:
Kapitel I „Showdown“
Einem klassischen Westernplot folgt Andreas Prochaskas beeindruckender Spielfilm Das finstere Tal (AT 2014): Ein Fremder reitet in eine Kleinstadt in den verschneiten Alpen ein – und es ist klar, dass er eine Rechnung zu begleichen hat. Der Genreerfolg ist bei der Diagonale’23 im Trio mit Florian Flickers und Georg Mischs Dokumentarfilm No Name City (AT 2002) über das Schicksal und den Niedergang der gleichnamigen Westernstadt in Niederösterreich sowie mit Viktoria Schmids Miniatur W O W (Kodak) (AT 2018), die die Sprengung eines Kodak-Firmengebäudes in Rochester im Rückwärtsgang zeigt, zu sehen.
Kapitel II „Das Ende unserer Zeit“
Die Liebe ist ein seltsames (Genre-)Spiel: Marvin Kren (Rammbock, DE 2010) und Jörg Kalt (Richtung Zukunft durch die Nacht, AT 2002) verweigern in ihren frühen, mittellangen Filmarbeiten jede Tradition romantischen Erzählkinos und konfrontieren ihre ungewöhnlichen Held*innen inmitten von Zombieapokalypse und rückwärtslaufender Zeit mit den zugespitzten Wirrungen ersehnter und unmöglicher Zweisamkeit.
Kapitel III „Endspiel“
In die euphorisierende Welt des Sports führt schließlich ein fabelhaftes Fußballdoppel: Michael Glawoggers Dokumentarfilm Frankreich, wir kommen! (AT 1999) begleitet das österreichische Männerteam zur Fußballweltmeisterschaft in Frankreich, indem er die Perspektiven des gewitzt formulierenden – und müden – Sportkommentators Johann Skocek mit denen mehrerer Fans kombiniert. Brigitte Weichs Hana, dul, sed … (AT 2009) hingegen taucht in eine andere Kultur ein, um die Geschichte von vier großartigen jungen Fußballerinnen im Weltklasseteam aus Nordkorea zu erzählen. Die Fußballfilme, die beide eine soziale Dimension aufweisen, werden durch Sabine Martes Finale (AT 2007) um ein Martial-Arts-Workout der besonderen Art ergänzt. Ein Programm, beglückend wie ein magisches Dreieck!
… auf das Endspiel folgt die Verlängerung: Anknüpfend an das historische Special FINALE ist im Wettbewerbsprogramm der Diagonale’23 erstmals auch Brigitte Weichs neuer Dokumentarfilm … ned, tassot, yossot … (AT 2023) zu sehen. Die Fortsetzung von Hana, dul, sed … zeigt die vier mittlerweile ehemaligen nordkoreanischen Spitzenfußballerinnen in der Gegenwart.
Kapitel IV „Zeitenwende“
Mit seinem ersten Spielfilm Moos auf den Steinen (AT 1968) – mit Erika Pluhar in ihrem Kinodebüt – hat Georg Lhotsky 1968 ein Werk mit individueller Prägung geschaffen, dem nicht bloß durch sein Finale der Hauch eines Neuanfangs innewohnt: „Spielt’s Wirklichkeit, Kinder!“, lautet eine letzte Aufforderung im Schlussbild – was durchaus auch als Forderung nach mehr Realismus im Kino selbst gemeint war, die sich von nun an zögerlich, aber beständig erfüllen sollte. Innerhalb der Filmgeschichte markiert Moos auf den Steinen das Ende von Heimatfilm und Zuckerlkino und den Aufbruch in die österreichische Kinomoderne.
Kapitel V „Final Generation“
„Es ist die Geschichte von zwei Jugendlichen, denen es nicht gelingt, sich in unserer Welt – so wie sie ist – zu beheimaten“, schreibt Regiepionierin Käthe Kratz über ihren legendären, jedoch viel zu selten gezeigten Spielfilm ATEMNOT (AT 1984). Zwischen Baumgartnerhöhe und besetztem Haus erzählt Käthe Kratz (Drehbuch: Peter Turrini) von jugendlicher Revolte gegen die bestehende private und öffentliche Ordnung. „No Future“ heißt hierzulande „Leckt’s mi am Oarsch“. In der Engführung seines Interesses für die Psychiatrie und der Auseinandersetzung mit gegenkultureller Revolte ist ATEMNOT ein Film seiner Zeit. Zugleich bietet er erstaunliche Parallelen ins Jetzt: Der individuelle genauso wie der gesellschaftspolitische Aufruf zur Revolte finden sich vor dem Hintergrund der tatsächlichen Beschaffenheit der Welt gegenwärtig in den Parolen und Programmen ökosozialer Klimabewegungen.