| Position | Christoph Hochhäusler |
Die Fäden der Fiktion
Von Esther Buss
In Die Lügen der Sieger (2014) gibt es eine scheinbar unbedeutende Szene, in der sich ein Journalist im Fernsehen eine Wrestling-Show ansieht. Weil er gleichzeitig mit seiner Volontärin telefoniert, kann er ihr erklären, dass das Spektakel bloß die perfekte Inszenierung sei: Ein sogenannter Storyliner habe sich eigens dafür eine möglichst spannende Geschichte ausgedacht.
Im ersten Moment wirkt der Verweis auf ein Schauspiel, das mit einem Überschuss an Leidenschaft und Schmerz verbunden ist, in den eher körperlosen Welten, die Christoph Hochhäuslers Filme entwerfen, wie ein Fremdkörper. Und auch der investigative Journalist, der an der Show seinen Spaß hat, denkt natürlich nicht, dass die erfundene Geschichte mit ihm zu tun haben könnte. Dabei ist er bei seinen Recherchen gerade selbst dabei, sich in einer Storyline zu verfangen.
Christoph Hochhäuslers Werk, das bislang zwei Kurz- und sechs Spielfilme umfasst (ein siebter ist auf den Weg gebracht und wird erstmals außerhalb von Deutschland spielen), kreist auf vielfältige Weise um Lüge, Täuschung, Manipulation und Spiel. Dabei ereignen sich die Geschichten weniger in realistischen Milieus als in Räumen oder Sphären: Politik, Finanzkapitalismus, Medienlandschaft, verdeckte Ermittlungen – Felder also, die in hohem Maße „fiktionalisieren“ und sich durch Auftritte, Maskenspiele und Performances selbst am Leben erhalten. Sogar die bürgerliche Ehe und Familie kann in den Filmen Hochhäuslers ihre Konventionen nur durch rituelle Wiederholung und Nachahmung bewahren.
Falsche Lebenszeichen
Hochhäuslers Figuren zeichnet etwas Überindividuelles aus. Ihre Täuschungen gehen nicht auf menschliche Defekte zurück, sondern sind vielmehr das Produkt von Systemen. Die Stiefmutter, die in Milchwald (2003) die Kinder auf einer Landstraße in der deutsch-polnischen Grenzregion aussetzt, spielt, in Schweigen eingemauert, bei der Suche mit. In Falscher Bekenner (2005), dem Porträt eines jungen Mannes, der Unfälle in anonymen Briefen als vorsätzliche Taten für sich reklamiert, steckt der Trug schon im Titel, und die Bewerbungsgespräche des Protagonisten scheitern nicht zuletzt an einer schlechten Performance. „Woran würdest du mich erkennen?“, fragt wiederum in Unter Dir die Stadt (2010) ein „Banker des Jahres“, der sich aus dem Erzählmaterial anderer eine falsche Biografie zusammengebaut hat und den Mann seiner Geliebten mit einer Intrige ans andere Ende der Welt versetzt, seine Ehefrau. In Die Lügen der Sieger wechseln Firmen ihre Namen, um Schmutziges zu vertuschen, während eine PR-Agentur daran arbeitet, mit gezielten Falschnachrichten politische Entscheidungen zu beeinflussen. Und im Vorspann von Bis ans Ende der Nacht (2023) kann man dabei zusehen, wie eine Wohnung eingerichtet und mit „authentischen Lebenszeichen“ präpariert wird: Im Zuge einer Observation werden ein schwuler Cop und eine trans Frau, die sich einmal „in echt“ geliebt haben, darin ein Paar spielen.
Doch es gibt in Hochhäuslers Arbeiten noch eine andere Form von Maskerade, ein weiteres Spiel – jenes mit dem Genrekino, etwa dem Krimi und dem Politthriller. „Filmemachen ist für mich eine Reflexion, ein Spiel darüber, wie man leben könnte, das Basteln an einem Modell von Welt, ohne das Modellhafte zu verdecken“, so der Regisseur in seinem Blog Parallelfilm. „Im Gegenteil interessieren mich die Frankenstein-Nähte manchmal mehr als das, was sie zusammenhalten.“
Produktive Leerstellen
Filmhistorische Reflexion, Formbewusstsein und ein an der Übersetzung von Wirklichkeit interessierter Zugang gelten im Allgemeinen als Signatur der sogenannten Berliner Schule, jener informellen, von der Kritik zu einer Bewegung erklärten Gruppe von Filmschaffenden um (zunächst) Angela Schanelec, Thomas Arslan und Christian Petzold. Als Hochhäusler, geboren 1972 in München, mit Milchwald sein Spielfilmdebüt vorstellte, wurde er umgehend einer „zweiten Generation“ zugerechnet. Dabei war er der Generation und ihrer Filme zu dieser Zeit gerade erst begegnet, zudem hatte er – nach zwei Jahren Architekturstudium in Berlin – seine Ausbildung an der Hochschule für Fernsehen und Film München absolviert, bevor er dauerhaft in die namensgebende Stadt übersiedelte. Rückblickend erscheint München insofern prägend, als die an der Hochschule existierenden Leerstellen (kein Interesse an Theoriebildung) bestimmte Aktivitäten sicherlich beförderten: 1998 gründete Hochhäusler zusammen mit Benjamin Heisenberg und Sebastian Kutzli die Filmzeitschrift Revolver, in der vor allem Filmemacher:innen über das Kino und ihre Arbeit schreiben. In veränderter personeller Zusammensetzung lebt sie 25 Jahre später noch immer: als Publikation (in Print, das Format passt in nahezu jede Jackentasche), als Initiatorin von Veranstaltungen, als Nachrichtendienst – auch für filmpolitische Anliegen.
Hochhäusler hat das Filmemachen und das Schreiben über Film von Beginn an zusammengedacht, auch das kollaborative Arbeiten ist fester Bestandteil seiner Praxis. Die Drehbücher zu den meisten Filmen entstanden in enger Zusammenarbeit mit Benjamin Heisenberg, Ulrich Peltzer und zuletzt Florian Plumeyer, und mit den Bildgestaltern Bernhard Keller und Reinhold Vorschneider (und dem Editor Stefan Stabenow) hat Hochhäusler eine eigenwillige Bildästhetik entwickelt, in der eine immer undurchdringlichere Gegenwart Ausdruck findet: durch Atmosphären des Zwielichts, durch Spiegelungen und auf enge Bildkader begrenzte Kamerafahrten, die an einen unpersönlichen, abtastenden Blick gekoppelt sind.
Hochhäuslers Filme sind Versuchsanordnungen sowohl über Verhältnisse – Systeme und Menschen, Politik, Medien und Wirtschaft, Körper und Räume, Opazität und Transparenz – als auch über das Kino: darüber, was man angesichts einer Allgegenwart von Bildern überhaupt noch zu glauben imstande ist. Mit jedem Film stellt Hochhäusler diese Frage neu, probiert etwas anderes aus. Ähnlich wie beim Wrestling über das Spielfeld hinaus fällt der Blick dabei stets auch dorthin, wo die Fäden der Fiktion noch sichtbar sind.