Diagonale
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Die Diagonale 2024 widmet dem Werk der 1947 geborenen Filmemacherin und Fotografin Lisl Ponger eine Retrospektive, zudem erhält sie eine Carte Blanche für ein Filmprogramm.

 


| Ausstellung Lisl Ponger |
| Storylines |

In einer eigens für das Schaumbad – Freies Atelierhaus Graz konzipierten Installation zeigt Lisl Ponger ihre neuesten Arbeiten, mehr Infos hier.

| Position | Lisl Ponger |

Die Errettung der Unsicherheit
Von Patrick Holzapfel

„Riḥla“ bezeichnet in der arabischen Literatur sowohl eine Reise als auch den Bericht, der von ihr angefertigt wird. Zuletzt ist mir dieses Wort im Zusammenhang mit einem alten Mann begegnet, der auf einem Dachboden im kroatischen Rijeka obsessiv imaginäre Karten des Mittelmeers anfertigt – ein weiteres Mal als Assoziation zum filmischen Werk Lisl Pongers. Die Künstlerin, Fotografin, Filmemacherin und Pionierin des österreichischen Avantgardefilms dürfte den Kartografen wohl kaum kennen, doch auch ihre Filme sind Reisen und Reiseberichte zugleich.

So sieht man in Pongers Passagen (1996) von der Filmemacherin gesammelte Reisebilder, die sich aufgrund verschiedener Erzählungen auf der Tonspur zu einer großen, widersprüchlichen Bewegung verdichten, wenn etwa Tourismus und Migration miteinander in Beziehung gesetzt werden: hier das Kreuzfahrtschiff, dort die Einwanderung aus Kuba. Ein Ungleichgewicht wird sichtbar, zwischen den Stimmen, aber auch zwischen Ton und Bild. Und plötzlich wird unser gewohnter Blick entlarvt, plötzlich sehen wir die Ungereimtheiten: hier die stolzen Blicke der Tourist:innen in die Kamera, dort ihr Blick auf das sogenannte Exotische.

Lisl Ponger vor Bücherregal

Lisl Ponger in ihrem Atelier im Oktober ’23 © Diagonale / Elsa Okazaki

Boote, Wolken und Artisten

Ponger ist ihr ganzes Leben von Bildern umgeben. Sie entstammt einer Familie von Fotografen und besucht selbst die Grafische Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. Im Umfeld der Wiener Aktionisten kommt sie wohl zum ersten Mal mit radikaler Kunst in Berührung. Sie dokumentiert Aktionen von Peter Weibel und Hermann Nitsch und lernt Ernst Schmidt jr. kennen, der sie zum Filmen animiert. Pongers filmisches Wer lässt sich grob in zwei Phasen einteilen: Die erste bis zum Beginn der Neunzigerjahre lässt sich als strukturalistische Avantgarde beschreiben, in der sie den Wirkweisen von Film und Kamera nachspürt. Später tritt ein dokumentarischer Impuls hinzu, mit dem die Filmemacherin ihren Blick auf die Wirklichkeit hinterfragt. Ponger selbst umschreibt ihre früheren Filme als „Formalfilme“. Damit reiht sie sich in die große Tradition des heimischen Experimentalfilms ein, den sie entscheidend prägt. Dass sie zu den Gründungsmitgliedern des Filmverleihs sixpackfilm gehört, erzählt viel über ihre einflussreiche Rolle.

Pongers avantgardistische Arbeiten der Achtzigerjahre stecken voller selbstreflexiver Bezüge: Bewegungen etwa von Booten, Wolken, Artisten oder Soldaten verweisen immer auch auf ihre horizontale oder vertikale Anordnung im Bild. Und Versuche über das Licht sind zugleich solche über die Belichtung. Zunehmend arbeitet Ponger im Laufe der Jahre heraus, dass ein Bild nicht nur interpretiert werden kann, sondern bereits eine Interpretation ist.

In einer Zeit, in der die Macht der Bilder ständig an Bedeutung gewinnt, nimmt Pongers Dekonstruktion des ideologisch geprägten Bildermachens an Fahrt auf. Bei ihr gilt: Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. In Filmen wie Container – Contained (1985) oder Semiotic Ghosts (1991) weiß man folglich nie, was man gerade sieht: das Bild – oder das Bild des Bildes? Ponger geht es um nichts weniger als die Errettung der Unsicherheit jener, die diese Bilder betrachten. Das gilt übrigens auch für ihren Umgang mit Found Footage, der stark mit ihrer Sammelleidenschaft als Mitbegründerin des Wiener Naschmarkt-Flohmarkts zusammenhängt. Von dieser Zufälligkeit ist auch Pongers Filmografie betroffen: Ihre in den Siebzigerjahren in Mexiko realisierten Super8-Filme sind zum Teil verloren gegangen. Das für ihre reisende Sammlerinnennatur so wichtige Prinzip des Findens hat sein Pendant im Verlieren.

Filmstill Container – Contained © Lisl Ponger

Blinde Flecken

Ponger interessiert der blinde Fleck eines jeden (Ab-)Bilds der Wirklichkeit: Welches andere Bild wird vom gezeigten ausgeschlossen? Worin bestehen das Ungleichgewicht und die Ungerechtigkeit? An diesen blinden Fleck richtet sich die Kritik der Künstlerin, indem sie Bilder von Kolonialismus, Tourismus, Rassismus und Neoliberalismus hinterfragt. Ponger sucht nach einer Form der künstlerischen Synthese, die, wie es im Zusatztitel von Imago Mundi (2007) heißt, „das Gültige, Sagbare und Machbare verändern“ kann. Die Produktion von Kunst, egal ob es sich um Fotografie, Film, Ausstellung oder Literatur handelt, ist für Ponger ein politischer Akt.

Ich stelle mir den Film vor, den Ponger über den Kartografen in Rijeka drehen würde. Sie würde ihn über eine Karte begleiten, die wie alle von Menschenhand gezeichneten von gesellschaftlicher Macht und persönlicher Erinnerung erzählt. Würde man aber den Kartografen bitten, Pongers filmische Reisen aufzumalen, er würde nichts aufs Papier bringen außer einer Kamera, die die Welt und zugleich sich selbst filmt.

 

Zur Carte Blanche

Die Diagonale dankt dem Projektsponsor Gaulhofer – Fenster zum Wohnfühlen.

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