Frankfurt Kaiserstraße
Spielfilm, BRD 1981, DCP, 87 min, OmeUSammelprogramm: Sehnsucht 20/21: Prince of Peace & Frankfurt Kaiserstraße
Die 17-jährige Susanne hat das Landleben gehörig satt und folgt ihrem Freund in die Fänge der Großstadt: Dort kommt sie bei ihrem Onkel unter, der gemeinsam mit seinem Freund auf der verruchtesten Meile Frankfurts einen Blumenladen führt. Schon bald gerät sie in die Fänge des Wiener Unterweltkönigs Johnny (Hanno Pöschl) … Roger Fritz erzählt die Liebesgeschichte zweier Jugendlicher in einer Gesellschaft, in der jene, die unten sind, zusammenhalten müssen. Impressionen aus den verborgenen Ecken der österreichischen Metropole zeigt Hans Scheugls Prince of Peace, der als Vorfilm zu sehen ist.
Die 17-jährige Susanne hat das Landleben
gehörig satt, und als ihr Freund Rolf zur Bundeswehr
nach Frankfurt einberufen wird, packt auch sie ihre
Sachen und begibt sich in die Großstadt. Dort kommt
sie bei ihrem Onkel unter, der gemeinsam mit seinem
Freund auf der verruchtesten Meile Frankfurts einen
Blumenladen führt. Schon bald gerät sie in die Fänge
des Wiener Unterweltkönigs Johnny (Hanno Pöschl).
Anfang der 1980er-Jahre entstehen bei Lisa-Film
mehrere Produktionen, die von den gängigen Mustern
dieses Hauses abweichen. Frankfurt Kaiserstraße ist
einer dieser Filme. Ursprünglich als „klassischer“ Lisa-
Stoff geplant, ändert sich mit der Verpflichtung von
Roger Fritz als Regisseur die Tonalität des Projekts.
Der Film ist in vielerlei Hinsicht sorgfältiger, genauer
und – trotz seiner „exploitativen“ Momente – stets
seinen Figuren verpflichtet. Das Schöne daran ist,
wie Fritz das Milieu und die Kaiserstraße, damals ein
„wildes Pflaster“, schildert: Es ist eine Gesellschaft, in
der jene, die unten sind, am meisten zusammenhalten,
während nach oben hin Kämpfe und Rivalitäten
zunehmen. Die wirklichen Kriminellen, das zeigt der
Film zum Schluss eindrucksvoll, sitzen ohnehin ganz
woanders, abgeschottet vom Geruch der Straße.
Man kommt nicht umhin, die Präsenz Hanno
Pöschls zu bestaunen, der wieder einmal in seiner
Paraderolle als Strizzi und Zuhälter zu sehen ist. Was
den Wiener Johnny nach Frankfurt verschlagen hat,
wer weiß es schon (vielleicht wieder nur eine Entscheidung
von ganz oben)? Mit seinem unverkennbaren
Idiom und seinem Schmäh wirkt er unter all den
Deutschen gleich noch einmal bedrohlicher. Einmal
zweckentfremdet er sogar ein Stück Würfelzucker auf
für eine seiner Prostituierten überaus schmerzhafte
Art und Weise. Die meiste Zeit cruist er in schickem
Anzug und noch schickerem Auto wie ein moderner
Sheriff durch sein Revier, flankiert von zwei Helferlein.
Johnnys Gegenspieler ist, wie könnte es anders
sein, Italiener, hört auf den Namen Aldo und betreibt
einen Nachtclub. In diesem kellnert die resche Kris, die
zufälligerweise auch in der Kaserne, in der Rolf seinen
Dienst am Vaterland tut, für Biernachschub sorgt. Mit
ihrer direkten Art und ihrem schweren Motorrad ist sie
ein Hingucker für die Soldaten – und hier schließt sich
gewissermaßen der Kreis um die Hauptpersonen und
ihre Beziehungen untereinander.
Ein weiteres Highlight dieses kleinen Kunstwerks
ist Kurt Raab als Susannes tuntiger Onkel Ossi. Es
wäre, gerade zur Entstehungszeit und im Kontext des
Films, ein besonders Leichtes gewesen, diese Figur
der Lächerlichkeit preiszugeben. Natürlich gibt es
Gelegenheiten, mit ihm und über ihn zu lachen, doch
Fassbinder-Regular Kurt Raab vermag es, Ossi mit
besonderer Würde und Verve zu verkörpern: Nicht nur
sein Auftritt als Chansonnier in einem Nachtlokal ist
phänomenal, sondern auch mit welcher Beherztheit
er für seine kellnernde Nichte eintritt, die von einigen
Typen belästigt wird! Überhaupt scheint sein Blumenladen
inmitten des Sündenpfuhls ein kleines Paradies
zu sein, in dem Prostituierte gern zum Kaffee willkommen
sind, etwa um sich zwischen zwei Freiern zu
erholen, und wo schon mal schwungvoll getanzt wird.
Discofans kommen bei diesem Film jedenfalls absolut
auf ihre Kosten. Frankfurt Kaiserstraße ist ein echtes
Kleinod, eine Entdeckung und eine Empfehlung. Jede
Stadt ist nur so gut wie die Menschen, die sie bewohnen.
(Katalogtext, Florian Widegger)
Buch: Georg Ensor
Darsteller:innen: Michaela Karger, Dave Belko, Hanno Pöschl, Ute Zielinski, Kurt Raab u. a.
Kamera: Ernst W. Kalinke, Fritz Baader
Schnitt: Karl Aulitzky
Musik: Asha Puthli
Produzent:innen: Fred Zenker
Verleih in Österreich: Lisa Film