Sehnsucht 202
Spielfilm, AT/DE 1932, DCP, 86 min, dOFIn der turbulenten Verwechslungskomödie geraten eine arbeitslose Stenotypistin und eine Millionärin auf der Suche nach einer Anlagemöglichkeit an zwei windige, dem Bankrott nahe Parfümeriebesitzer, die ihre Chance auf Rettung ihres Geschäfts wittern. Die Weltwirtschaftskrise macht aus den Wiener Flaneuren Entrepreneure und verwischt die Grenzen zwischen den Schichten.
Eine Verwechslung zieht häufig turbulente Folgen
nach sich – davon erzählen die besten Komödien,
und das ist auch in Sehnsucht 202 nicht anders. In
einem Inseratenbüro werden zwei Annoncen vom
überforderten Mitarbeiter unabsichtlich verwechselt.
So geraten eine arbeitslose Stenotypistin und eine
Millionärin auf der Suche nach einer Anlagemöglichkeit
an zwei windige, dem Bankrott nahe Parfümeriebesitzer,
die ihre große Chance gekommen sehen.
Der Titel, Inspiration für das heurige historische Special
der Diagonale und Hommage auf Namen edler
Parfüms. Diese dienen bekanntlich mitunter auch
vorzüglich dazu, den beißenden Geruch der Realität
zumindest temporär zu überblenden.
Mit ein bisschen Risikobereitschaft große
Gewinne erwirtschaften – das ist die Devise einer Zeit,
in der die Wirtschaftskrise längst auch in Österreich
angekommen ist. Das Glück herausfordern und als
Sieger vom Platz gehen ist der heimliche Traum, den
viele träumen. Und wieder andere versprechen die
Erfüllung dieses Traums – ein Inseratenbüro etwa,
das Werbung in einem Kino schaltet. Jeder arbeitet
auf seine Weise, wendig, flexibel und gewitzt, auf das
Glück hin.
(Katalogtext, Florian Widegger)
Der Künstler verkörpert im österreichischen
Film der 1930er- und 1940er-Jahre das Credo,
Glück habe keine Geschichte. Sein Zeitmaß sei
der Augenblick. Die Glücksschmiede rechnen in
anderen Dimensionen. Ihnen setzt die Gegenwart
zu. Der Horizont ihrer Hoffnungen richtet sich auf die
Zukunft. (…) Glücksschmiede stellen keine gesellschaftlichen
Fragen. Ihre Existenz überantworten
sie ihrer privaten Sorge. Hebeln wirtschaftliche und
politische Zusammenhänge ihr Leben aus der Bahn,
verfügen sie über einen entscheidenden Vorteil: sie
werden trotz Erwerbslosigkeit, Wartens und Langeweile
nicht apathisch. (…) Glücksschmiede besitzen
eine rasche Auffassungsgabe, sind erfindungsreich,
(beginnen zu) handeln und setzen auf Zufälle. Sie
üben sich als Unternehmer in eigener Sache und sind
mobil. Sie sind viele, bleiben aber einzeln. Sozial treten
sie selten alleine, meistens als Freundespaar auf.
Sehnsucht 202 erzählt von Bobby und Harry,
die sich neu orientieren. Ihrer Einstellung nach eher
dem Flanieren denn dem Bilanzieren zugewandt,
betreiben sie ein Parfümgeschäft. Diesem fehlt
allerdings die Kundschaft. Im Männerhaushalt wird
an Krisenlösungen gefeilt. Währenddessen begeben
sich zwei Stenotypistinnen auf die Suche nach Arbeit.
Manchmal verschlägt es sie dabei ins Kino. Dort wirbt
Hesses Inseratenbüro gerade mit seinen Verdiensten:
„Man riskiert nur eine Zeile und bekommt nach einer
Weile, was man will und was man braucht und was
man mag.“ Die arbeitslose Magda riskiert, wie auch
die Millionärin Kitty, die eine Anlagemöglichkeit für
ihr Kapital zu finden hofft. Die Annoncen werden versehentlich
fusioniert und so sucht „Dame mit Millionenvermögen,
junges intelligentes Mädchen Stellung
gleich weder Art“. Bobby und Harry sehen mit dem
Inserat ihre Rettung nahen. Magda taucht im Parfümladen
auf und wird hofiert. Das letzte Geld dient
als Vorschuss für ihren Lohn. Bobby, der keine Verlegenheiten
kennt, trifft im Inseratenbüro Kitty, die vergebens
auf Post wartet. Er ist hingerissen von ihrem
Parfüm, sprüht vor Selbstbewusstsein, Koketterie und
verwegenen Anspielungen. Magdas vermeintlicher
Reichtum bleibt derweilen unsichtbar. Ihre Reklameideen
zeigen Bein, machen Blinde sehend und locken
Kunden ins Geschäft. Zu wenige, um zu sanieren.
Der Himmel über Wien zieht sich grau und unwirtlich
zusammen. Die Frauen sehen im Handeln der Männer
einzig Kalkül und Eigennutz. Jetzt kann nur noch
der Gang zu Hesse helfen. Vor dem Schalter mit der
Rubrik „Heirat“ treffen sich die vier wieder. Esprit wird
sich mit Kapital verbinden. Die Utopie heißt jedoch
nicht Karriere, sondern Müßiggang mit Stil.
(Elisabeth Büttner in: Filmhimmel Österreich: 100
Programme zur Geschichte des österreichischen Films von
den Anfängen bis zur Gegenwart, Heft 43, Wien 2006.)
Buch: Irma von Cube, Emmerich Pressburger, Karl Farkas
Darsteller:innen: Magda Schneider, Louise Rainer, Fritz Schulz, Attila Hörbiger, Hans Thimig, Paul Kemp
Kamera: Otto Kanturek, Anton Pucher
Schnitt: Else Baum
Musik: Richard Fall
Produzent:innen: Arnold Pressburger, Gregor Rabinovitch
Produktion: Cine-Allianz Berlin