Me, We
Spielfilm, AT 2020, DCP, 115 min, OmeU
Marie fährt ans Mittelmeer, um Menschen in Seenot zu helfen. Marcel gründet einen Geleitschutz für Frauen vor „übergriffigen Migranten“. Petra nimmt einen traumatisierten Geflüchteten auf. Und der Asylheimleiter Gerald wird von einem Bewohner auf die Probe gestellt. In David Clay Diaz’ prominent besetztem Spielfilm prallen rechte und linke Weltsichten aufeinander – beide mit dem Anspruch des Absoluten. Ist Ethik zur moralinsauren Modeerscheinung geworden, in der das Streben nach Anerkennung das Ego selbstgerecht voranstellt?
Diese Marie (Verena Altenberger) ist super: Heuert an auf einem Rettungsschiff im Mittelmeer und ist fest entschlossen, eigenhändig Geflüchtete rauszufischen. Muss man liken. Aber irgendetwas stimmt hier nicht, weder an der Gesamtsituation noch an Marie. Ähnlich ambiguos verhält es sich mit dem halbstarken Marcel (Alexander Srtschin): Er gründet einen abendlichen Geleitschutz für Frauen. Marcel hat aber auch ein Faible für die Neonaziszene, macht das also „wegen der übergriffigen Migranten“. Die Absicht gut, ihr Unterbau schlecht. Das gilt auch für die zwei weiteren Protagonist/innen von Me, We, die Redakteurin Petra (Barbara Romaner), die einen traumatisierten Geflüchteten (Mehdi Meskar) bei sich aufnimmt, und den Asylheimleiter Gerald (Lukas Miko), der mit einem Bewohner kollidiert.
In minutiös komponierten Einstellungen bewegt David Clay Diaz seinen Film im Spannungsfeld der wachsenden Kluft zwischen Gerechtigkeitstheorie und politischer Praxis, in der sich das Individuum, von Interessenskonflikten geprägt, nur scheinbar orientieren kann. Ist Ethik zur moralinsauren Modeerscheinung geworden, in der das Streben nach Anerkennung das Ego selbstgerecht voranstellt? Das Ich im Wir, aber nicht umgekehrt?
(Katalogtext, az)
1975 trat Muhammad Ali in Harvard auf und hielt einen Vortrag. Als ihn Student/innen nach einem Gedicht fragten, improvisierte er das „kürzeste Gedicht der Welt“. Me, We betrachtet eines der prägendsten Ereignisse unserer jüngeren Vergangenheit und aktuellen Gegenwart, die Europas politische und gesellschaftliche Landschaft aufgerüttelt und nachhaltig verändert haben. Erzählt wird jedoch aus einer Perspektive, aus der diese noch kaum filmisch angegangen wurde: aus der Sicht der Europäer/innen. Vier Schicksale unfreiwilliger Protagonist/innen eines politischen Trauerspiels. Um ein Problem, ein politisches Phänomen verstehen zu können, gilt es, sich diesem aus allen möglichen Blickwinkeln anzunähern und es zu durchleuchten. Wir leben in einer Zeit, in der es gilt, Stellung zu beziehen, und dieser Film bezieht klar Stellung, jedoch ohne zu vereinfachen und zu werten, aber dafür mit dem Willen, zu verstehen, um möglicherweise daraufhin Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten zu bieten. In den Irrungen und Wirrungen der „Flüchtlingskrise“, so empfinden Co-Autor Senad Halilbašić und ich, will man sich einen Funken Ordnung, gewisse Anhaltspunkte schaffen. Rechte und linke Weltsichten prallen aufeinander, beide mit dem Anspruch des Absoluten. Es geht um die Frage, wie das Zusammenleben in einem neuen Europa funktioniert. Wenn wir versuchen, einander in unseren Ängsten und Sichtweisen besser zu verstehen, können wir besser kooperieren.
(David Clay Diaz)
Buch: David Clay Diaz, Senad Halilbašić
Darsteller:innen: Lukas Miko, Verena Altenberger, Barbara Romaner, Mehdi Meskar, Alexander Srtschin
Kamera: Julian Krubasik
Schnitt: Lisa Zoe Geretschläger
Originalton: Michael Zachhuber
Szenenbild: Julia Libiseller
Kostüm: Veronika Albert
Produzent:innen: Bruno Wagner, Antonin Svoboda, Barbara Albert
Produktion: coop99 filmproduktion
Verleih in Österreich: Filmladen Filmverleih
Gefördert von: ÖFI - Österreichisches Filminstitut
ORF Film/Fernseh-Abkommen
FFW - Filmfonds Wien
Uraufführung: Kino 2021
Österreichische Erstaufführung: Kino 2021
Produktionsformat: digital