Der Verlorene
Spielfilm, DE 1951, DCP, 98 min, dOFIn Peter Lorres einziger Regiearbeit treffen sich zwei Männer in einem Flüchtlingslager wieder, die während des Kriegs in der medizinischen Forschung gearbeitet hatten: Der eine wurde Nazi, hinterging den anderen, seinen Chef Dr. Rothe, und trieb ihn bis zum Mord an seiner Geliebten. Die Schuld blieb ungesühnt. Bis jetzt. In virtuosen Rückblenden erzählt Der Verlorene eine Geschichte über das Vergangene, das nicht vergehen will, ehe es zu seinem Recht kommt.
In einem Flüchtlingslager in der Nähe von Hamburg
arbeitet nach dem Krieg ein gewisser Dr. Neumeister.
Früher hieß Neumeister Rothe. Nun trifft er
völlig unerwartet mit dem ehemaligen Gestapo-Spitzel
Hoesch zusammen, der sich jetzt Novak nennt.
Nicht nur leben die zwei Männer unter neuem Namen,
die beiden haben auch eine gemeinsame Vergangenheit,
die der Film nun, während einer langen durchzechten
Nacht, in Rückblenden wieder aufrollt.
Rothe hat 1943 im Affekt seine Verlobte erwürgt,
weil sie ihn mit seinem Assistenten Hoesch betrogen
und seine Forschungsergebnisse an die Engländer
verraten hatte. Der Fall wird jedoch von der Gestapo
zu den Akten gelegt und der Mord als Selbstmord ausgegeben,
um den nun erpressbaren Wissenschaftler
zur Fortsetzung seiner Arbeit zu zwingen. Doch stattdessen
zieht die nicht gesühnte Tat andere nach sich,
zwingt ihn förmlich zu weiteren Verbrechen, fordert
bald ein zweites Opfer. Rothe wird zum Totmacher.
Nach dem Krieg nun versucht Hoesch, mit seinem
einstigen Vorgesetzten abermals einen Pakt des
Stillschweigens zu schließen. Rothe, vom Wunsch
nach gerechter Strafe für seine Taten beherrscht,
kehrt die Vorgänge aus der Vergangenheit nicht unter
den Tisch, will nicht länger ein „Verlorener“ sein – und
tötet erneut, diesmal wohlüberlegt.
„Der Verlorene, Peter Lorres einzige Regiearbeit,
ist wie ein Bruderfilm zu Fritz Langs M – Eine Stadt
sucht einen Mörder. Zurück aus der Emigration in
Frankreich und den USA, knüpft Lorre mit seinem
Film in der jungen Bundesrepublik an das kinematografische
Erbe an, das er, zusammen mit vielen anderen
Künstlern, in der Weimarer Republik hinterlassen
hat“, schreibt der Filmemacher Romuald Karmakar.
„Erneut bringt Lorre den Mut auf, einen Lustmörder zu
spielen, einen ,Totmacher‘, wie die großartige Gisela
Trowe ihn im Film nennt. Anders als bei M ist die Figur
des Dr. Rothe, ein Wissenschaftler im weißen Kittel, in
das Profiteursystem einer Gesellschaft, zudem in der
NS-Zeit, eingebunden. Das akzentuiert den Schulddiskurs,
der nicht nur an die Protagonisten des Films
und die ,Ausgebombten von Hamburg‘, dem Ort der
Spielhandlung, gerichtet ist, sondern auch jene Träger
der NS-Zeit im Auge hat, die in der postdiktatorialen
Gesellschaft der Bundesrepublik das Aufräumen
der Trümmer mit der Aufarbeitung der Verbrechen
verwechseln.“
Aufgenommen wurde der nach einem Tatsachenbericht
gedrehte Film im Atelier in Bendestorf südlich
von Hamburg; die Außenaufnahmen entstanden in
der Hansestadt und in Heidenau in der Lüneburger
Heide, wo ein Flüchtlingslager mit seinen Baracken
nachgebaut wurde. Der Verlorene entwickelt eine
verbohrte, verzweifelte Kraft, er hat Mut zur Übersteigerung
und ist von Václav Vich grandios fotografiert
– ein zwielichtiges Unterfangen buchstäblich, voll
schmerzender Hybris.
Für die emigrierte Filmkritikerin Lotte Eisner
war Der Verlorene schlicht „der beste deutsche Film
seit 1933“. Und Enno Patalas schrieb 1972 anlässlich
seiner Wiederaufführung: „Der Film wirkt nicht
gealtert wie so viele Zeitfilme aus den Nachkriegsjahren,
sondern alt wie die Vorkriegsfilme von Lang,
Hitchcock und Sternberg, in denen Lorre gespielt hat.
Die Rückblenden sind kein dramaturgischer Notbehelf,
sondern das Aufbrechen von verdrängter Zeit.“
(Katalogtext, Brigitte Mayr, Michael Omasta)
Buch: Peter Lorre, Axel Eggebrecht, Benno Vigny unter Mitarbeit von Helmut Käutner nach einer Idee von Egon Jameson/Jacobson
Darsteller:innen: Peter Lorre, Karl John, Renate Mannhardt, Johanna Hofer, Gisela Trowe
Kamera: Václav Vich
Schnitt: Carl Otto Bartning
Musik: Willy Schmidt-Gentner
Produzent:innen: Arnold Pressburger, Fred Pressburger
Produktion: Arnold Pressburger Filmproduktion (DE)