This is not America – Austrian Drifters
Wien 1976: Die Arena wird von jungen Menschen besetzt, die ein autonomes Kulturzentrum fordern, es finden Lesungen, Ausstellungen und Konzerte statt. Das Ereignis wird auch gefilmt, u. a. von der Videogruppe Arena und Fritz Köberl. Das Ineinander von Filmemachen, Popkultur und politischer Haltung findet hier, für Österreich gesprochen, einen entscheidenden Impuls, dem das Programm „This is not America – Austrian Drifters“ bis in die Gegenwart nachgehen möchte. Die Figur des Drifters ist dabei konstitutiv: für einen Großteil der Figuren und die formalen Zugänge wie für die Zusammenstellung selbst. Sie versucht nicht, die Pop-Film-Beziehungsgeschichte lückenlos und akribisch nachzuvollziehen, sondern wirft schlaglichtartig und facettenreich einzelne Blicke, hier und da, driftend durch die letzten vierzig Jahre.
Wer die Bezüge zwischen Film und Pop zu studieren beginnt, landet rasch in einem bodenlosen Unterfangen. Denn Film war schon immer – auch – Teil der Popkultur. Er fand in ihr ein reiches Terrain: als markantes Gegenüber der Kunst und zugleich weit über die bloße Abbildung bzw. Ausschlachtung von Popstars hinaus. Auch dieses Programm ist keine Aneinanderreihung von Filmen, in denen Popmusiker/innen mitwirken, sondern eine Suche nach den Schnittstellen, entlang derer sich die Wechselbeziehungen von Pop und Film auffächern lassen. Was wird sichtbar von Popkultur in Filmen – sei es in dokumentarischen Zugängen oder fiktionalen Formen? Was ist grundlegend filmisch an Pop, was daran findet im Film ein verwandtes Medium? Auf welche Weisen wirkt Popkultur ansteckend, wie überträgt sie ihre Ästhetiken auf den Film?
Sichtbar kann z. B. werden, wie stark das „coole Wissen“ um die Codes und Zeichen – wie man spricht, sich bewegt, gestikuliert – die Menschen vor der Kamera durchdringt. In Spurenelementen findet sich dies etwa in John Cooks Langsamer Sommer, wo zwei Männer einen Sommer lang abhängen und einen Lebens- und Kleidungsstil pflegen, den fast nur sie und vereinzelte Freunde lesen können, der im restlichen Wien aber einfach als nicht konform untergehen muss. Sechs Jahre später findet sich im Café Malaria des gleichnamigen Films von Niki List bereits eine Schar junger Popper zusammen, um sich, ihre Lässigkeit und das schöne Leben in knalliger Überdrehtheit zu feiern. Und wieder 16 Jahre später heißt Pop in Wien vor allem Techno, so scheint es in Slidin’ – Alles bunt und wunderbar, aber die Euphorie und die Begeisterung für das Verkleiden, für die Identitätsspiele sind verblasst wie die Neonfarben der Clubs und der Klamotten. Es sind der Oberflächencharakter, die Zeichenhaftigkeit der realen Welt, die sich im Sichtbaren artikulieren: Der Film kann sie aufzeichnen und lesbar machen.
In Form einer großen Abwesenheit ist dabei immer auch eines anwesend: Amerika. Genauer gesagt: die Sehnsucht nach Amerika, seinen Figuren, seiner Coolness, seinen Mythen (auch den filmischen). Buchstäblich dieser Sehnsucht nachgegangen ist Peter Ily Huemer. Sein Musikvideo für The Cucumbers wie auch sein Langfilm Kiss Daddy Good Night stehen für ein Schaffen, das lange Zeit in – und nah an – Amerika und immer auch im Dialog mit der Musik stattfand. Diese durchdringt seinen Neo-Noir-artigen Thriller, der New York als düstere Stadt der Oberflächen imaginiert, in der Uma Thurman in ihrer ersten großen Rolle als Grenzgängerin zwischen öffentlicher Pop- und privater Hochkultur brilliert. Das rund um die Kalkito-Clips von Dietmar Brehm formierte Kurzfilmprogramm geht der Überlagerung von Film- und Pop-Ästhetiken in anderer Weise nach und führt vor Augen, wie die vermeintlich konträren ästhetischen Konzepte der filmischen Avantgarde und der Popkultur in eine schneidend-schmachtende Umarmung münden können.
Lässt man sich auf die schlingernde, ziellose Bewegung des Programms ein, wird man auch einer Reihe von Orten begegnen, an denen Pop in Österreich in besonderem Maße gelebt und weitergedacht wurde. In dokumentarischen Arbeiten wie Egon Humers The Bands oder Wolfgang Strobls Eiszeit begegnet man Läden wie dem U4, der Arena, dem Flex in Wien oder der Stadtwerkstatt in Linz: Kulminationsorten, an denen der dem Pop eigene Individualitätsdrang etwas Gemeinschaftliches (und damit potenziell Politisches) erzeugte. Zugleich aber wird man sich durchgehend an einem anderen zentralen Ort der Popkultur in Österreich befinden: im Kino.
(Alejandro Bachmann)