„Celebrate the diversity“, erzählt uns Jean Paul Mutabaruka, ruandischer Ex-Soldat und Kommandant, Friedensaktivist und Flüchtling. Und das klingt aus seinem Mund ungewöhnlich; es ist eine Einsicht, die er sich hart erkämpft hat, gewonnen aus den Kriegen, die sein Land, seine Familie und Freunde, sein Leben zerteilt haben.
„From Darkness“ beschreibt viele solcher Geschichten, erzählt von Flüchtlingen, die gerade aus dem Krieg kommen, von solchen, die sich eine neue Existenz aufbauen und von denen, die das bereits vor Jahren getan haben.
Sie heißen Fatuma, Diana, James, Simon, arbeiten als Community-Worker, besuchen Schulen, träumen von einem Neubeginn. Es sind Geschichten von Bewegung und Neugründung, die man als Spieler/in miterleben kann. “From Darkness” ist ein Computerspiel und eine interaktive Dokumentation, ein spielerischer Essay, der österreichischen Künstlergruppe gold extra, der die Spielenden nach Ostafrika führt.
„It’s a vicious cycle, we need to break this cycle“. Wir sitzen Jean-Paul gegenüber und uns wird klar, dass es nicht einfach wird, das Gewicht und die vielen Dimensionen mancher seiner Sätze in unserem Spiel deutlich zu machen. Und das prägt auch die Arbeit im Schnitt und in der 3-D Umsetzung Monate und Jahre später: Zu zeigen, wie groß diese Schwierigkeit ist, Toleranz zu leben, ihr Raum zu geben und zu bestärken – das sind Qualitäten, die wir in unserem dokumentarischen Computerspiel „From Darkness“ beschreiben und erlebbar machen möchten.
gold extra – Schnittstellen und Schnittmengen
„From Darkness“ schließt an eine Reihe von dokumentarischen Projekten der Künstlergruppe gold extra an, die in den letzten Jahren in unterschiedlichen visuellen Medien entstanden sind. Seit der Gründung 1998 entstehen viele Projekte beim Nachfragen und Nachdenken über eine Schnittmenge aus Medien, Technologien und Politik. Sich nicht einzuengen auf eine Kunstform, sondern das jeweils passende Medium zu finden und die Darstellungsform künstlerisch-forschend weiterzuentwickeln, ist uns ein Anliegen.
Ein wesentlicher Strang unserer Arbeiten in den letzten Jahren sind dokumentarische Projekte. Die „Local Crisis Machine“, eine interaktive Videodokumentation, zeigt die Wahrnehmung der Krise in verschiedenen europäischen Ländern in einem Spielautomaten. Der/Die Betrachter/in erspielt und remixt sich dabei selbst die Dokumentation, wodurch ein vielschichtiges Bild aus den verschiedenen Wahrnehmungen entsteht. Mit dem Projekt „Frontiers“ (veröffentlicht 2008), das in einer Dauerausstellung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe zu sehen ist, haben wir 2005 begonnen nach Möglichkeiten zu suchen, um über die „Festung Europa“ und die damalige Flüchtlingssituation künstlerisch zu reflektieren. In dem Spiel wollten wir die Unmittelbarkeit der Situation an den Grenzen in den Mittelpunkt stellen, die damals viel weniger medial aufgearbeitet war als heute. „Frontiers“ beschreibt in fünf Stationen den Weg von Flüchtlingen an die Grenzen Europas. Das Projekt erhielt breite öffentliche Anerkennung, es macht uns jedoch betroffen, dass es acht Jahre nach seinem Erscheinen noch immer in gleicher Form ungebrochen aktuell ist.
“From Darkness” – Geschichte in Geschichten
Bei „Frontiers“ wollten wir Unmmittelbarkeit und Immersion vermitteln, moralische Entscheidungen ganz nahe an den Spieler/die Spielerin heranrücken. Mit unserem neuen Spiel „From Darkness“ wollen wir den Spielenden einen multiperspektivischen Blick ermöglichen; eben nicht einen einzigen Grund für Flucht zeigen, sondern ein mehrdimensionales Bild gestalten. Wir haben dafür ein Spiel entwickelt, in dem die Aktivität der Betrachtenden, der Handelnden selbst das Bild mitbestimmt. „From Darkness“, das vom Titel an Joseph Conrad´s „Heart of Darkness“ erinnert, soll solche Einordnungen evozieren und sie im Spiel unterlaufen; es ist eine Arbeit an der Schnittstelle zwischen Serious Game, Dokumentation und interaktivem Film.
In „From Darkness“ ist es uns wichtig, die Suche nach Information, das Bewegen in einem Raum, um Informationen zu finden und die Veränderung des Blickes auf den Raum, nach dem man die Information erhalten hat, zu thematisieren. Die Spielenden sollten die Erfolge ihrer Suchbewegung nachvollziehen können. Es geht uns dabei um Umwege, Vertiefungen, manchmal Abweichungen innerhalb einer in Dokumentationen normalerweise linearen, vom Filmschnitt dominierten, Erfahrung. „From Darkness“ nähert sich von Seiten des Computerspiels, hier steht die Bewegung des Spielenden, die Erfahrung im Raum im Vordergrund, hier können sich die Spielenden nicht durch eine eindeutige Geschichte, sondern durch Geschichte in Geschichten spielen.
Recherche und Entwicklung
Wir haben 2012 mit unserer Recherche in Kenia und Uganda begonnen und uns mit Lebensrealitäten und Lebensläufen in Ostafrika auseinandergesetzt, Auf einer sechswöchigen Recherche-Reise, begleitet u. a. von einem kenianischen Sozialarbeiter, führten wir Interviews mit zahlreichen NGO-Arbeiter/innen, lokale bis hin zum UNHCR, mit Reporter/innen, Flüchtlingen, mit Kindern und Universitätsprofessor/innen, Community-Worker/innen und Straßenverkäufer/innen. Wir hatten das Glück, für unsere Arbeit enorm hilfreiche Recherchepartner/innen zu gewinnen, darunter NGOs wie AMREF, Kituo Cha Sheria, GIZ oder das UNHCR, und hatten bei unserer Rückkehr 60 Stunden an Dokumentationsmaterial im Gepäck. Unser Ziel war es, ein vielschichtiges Bild der Gesellschaft zu zeichnen, nicht eine Ursache zu finden, sondern Lebensläufe nebeneinander zu stellen und ihre Verflechtung zu zeigen. Ein wesentlicher Punkt, auf den wir uns konzentriert haben, waren die Auswirkungen und Ursachen von Flucht und Vertreibung. Unsere Recherche war darüberhinaus davon geprägt, nicht auf das klassische Bild afrikanischer Länder in den Medien – Krankheiten, Kriege und Katastrophen – zurückzugreifen, sondern, die vielfältigen Aktivitäten der Menschen darzustellen.
Nach der Recherche ging es also darum, eine konzentrierte Form dieser Erfahrung zu schaffen. Unzählige Stunden vergingen damit, sich Konzepte und Software zu erarbeiten, oder diese wieder zu verwerfen. Inzwischen nimmt „From Darkness“ deutliche Formen an, 2015 konnten wir den ersten Level veröffentlichen/ausstellen. Im Herbst 2016 wollen wir die Arbeit zur Gänze präsentieren.
Das Spiel
In „From Darkness“ ist die Metropole Nairobi der Startpunkt für eine Spurensuche nach vielfältigen Alltagsgeschichten, von der Nachbarschaftshilfe bis hin zum Überleben als Flüchtling – lokale Geschichten und solche, die die Politik und Zeitgeschichte der ganzen Region einfangen. Die Spielenden erleben die Geschichte durch die Augen einer Mutter, die nach ihrer verschwundenen Tochter, einer Kriegsreporterin, sucht. Die Tochter ist vor Jahren verschwunden, trotzdem hat die Mutter ihren Tod nie verwunden und macht sich zu einer Erinnerungsreise auf, die sich unerwartet zu einer Entdeckungsreise entwickelt. Ist ihre Reise zu Beginn von Vorstellungen über Kriege, Krankheiten und Katastrophen geprägt – und zwar in der Art, in der auch ihre Tochter berichtet hat –, lernt sie diese Welt bald mit neuen Augen zu sehen. Sie lernt freiwillige Helfer/innen, Flüchtlinge und verfolgte Volksgruppen, aber auch junge Menschen und deren Zukunftsträume kennen.
In die fiktive Geschichte eingebettet ist unser reales Dokumentations- und Interviewmaterial, und mit den Suchbewegungen, die die Protagonistin/die Spielenden unternehmen – erweitern sich die Räume, entstehen auch visuell neue Zusammenhänge. Um das deutlich zu machen, haben wir dramaturgisch eine wesentliche Wendung vollzogen: die Reise, die die Spielenden unternehmen, ist an sich eine Erinnerung und wir haben eine eigene Formsprache entwickelt, die dem entspricht. Hier werden die vielfältigen Assoziationen zu den Themen visuell dargestellt: Die Räume werden zu „Erinnerungsräumen“, die die Erfahrungen des/der Spieler/in widerspiegeln.
Die Verbindung von Dokumentationen und Spielen ist eine junge Entwicklung. In den letzten Jahren sind diverse Technologien verfügbar geworden, die es erlauben, neue interaktive Verbindungen herzustellen. „Frontiers“ war bereits recht erfolgreich, unterschiedlichste Publikumsschichten zu verbinden/zu erreichen, beispielsweise Gamer, Künstler/innen oder an der Thematik interessierte Personen. Wir hoffen, dass uns dies auch mit „From Darkness“ und dessen schwierigem und komplexen Thema gelingt.
Wir denken, dass Film, Dokumentation und interaktive Formate in dieser Weise in Zukunft noch viel enger miteinander in Verbindung kommen werden und schließlich mehr das gemeinsame thematische Interesse – als die ursprünglich unterschiedlichen medialen Ausgangspunkte – im Mittelpunkt stehen werden. Wir denken, dass in Zukunft auch dokumentarische Computerspiele einen Beitrag dazu leisten werden, wichtige gesellschaftliche Themen aufzuarbeiten.
Vielleicht ja auch auf dem einen oder anderen Film-Festival …
(Text: Reinhold Bidner, Karl Zechenter // gold extra)