From: disco to: disco
From town across town.
(Whirlpool Productions, 1996)
Es gibt eine ganze Reihe an Büchern, die junge Menschen dann schreiben, wenn sie älter geworden sind. So alt, dass sie nicht mehr oder nur selten ausgehen. Mit wehmütigem, zumeist auch ein wenig nostalgischem Blick vermessen diese Bücher dann die eigene Jugend und mit ihr Jugend- und Popkulturen. Die besseren dieser „Zeitzeugen“-Protokolle sind nicht nur amüsante Anekdotensammlungen, sondern auch kluge Geschichtsprotokolle, selbstreflexive Analysen, im besten Fall kleine Studien. Warum es solche Bücher zur Genüge über Clubs, nicht aber über Kinosäle gibt, liegt wohl auch daran, dass man selbst dann, wenn die frühe Morgenstunde und die exzessive Partynacht schon zu anstrengend oder fad geworden sind, noch ins Kino geht. Auch am Mangel an alten Männern, die mehrheitlich die Autoren dieser poppigen Szenebücher mit autobiografischen Versatzstücken sind, kann es angesichts der österreichischen Filmbranche nicht liegen. Die Lücke dieser Bücher ist jedenfalls ein Manko, wie ich finde.
Werden beispielweise erfolgreiche Filmschaffende nach frühen und jugendlichen Berührungspunkten mit Film befragt, dreht sich die Antwort häufig um konkrete Filmbeispiele, markante Szenen oder ähnliche Leinwanderlebnisse im wörtlichen Sinn. Nur selten und dann nur am Rande erfährt man etwas über die Örtlichkeit der Aufführung. Über das Dispositiv, wie man dann schon altklug als Autor eines Meine-Jugend-im-Club-nur-eben-im-Kino-Buches schreiben würde. Das ist schade, denn so eine anekdotenhafte Institutionsgeschichte hätte durchaus Reizvolles zu bieten:
Das Kino, in dem ich beispielsweise meinen ersten Kinofilm sah, war im Tiefparterre eines Einkaufszentrums. Im Foyer stand ein Knight Rider Flipper. Meine Höhe reichte jedoch nicht aus, um die Bedientasten zu drücken. Keinen Flipper und auch keine Süßigkeiten gab es im Kino, das meine Jugend prägte. Dafür einen Saal mit über 500 Sitzplätzen und einige Vorstellungen, bei denen man aus geschätzten 485 freien Plätzen wählen durfte. Mit dem Saal des Stadttheater Greif bespielte das Programmkino Wels lange Zeit einen magischen Ort. (Einige der oben angesprochenen alten Männer der Branche werden sich an die Filmtage ebendort erinnern). Besonders unter so genannten engagierten Lehrer/innen genoss das Programmkino einen ehrwürdigen Ruf und so besuchten wir regelmäßig Schulvorstellungen. Einmal, da war der Saal rappeldicke voll. Eine vulgär-politische Anti-Bush-Doku stand auf dem Spielplan. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob der Massenkinobesuch damit zu tun hatte, dass unsere Lehrer/innen dabei die anti-amerikanischen Ressentiments, die sie mit einem Linksturn versehen von ihrer Elterngeneration übernommen hatten, vor-klug und mit Halbwissen auf-fetten konnten. Egal. In Erinnerung blieb mir die Saalgröße, der an diesem Vormittag besondere Bedeutung zukam. Nur weil sämtliche Klassen der 7. Schulstufe der Stadt in eine Vorstellung passten, konnte ich auf das Mädchen treffen, das später meine erste Freundin wurde.
Apropos Kino-Architektur: Während ich damals noch darüber grübelte, ob es gut oder schlecht sei, dass im Programmkino striktes Ess- und Trinkverbot herrschte, erzählten ältere, bereits studierende Freunde von einem noch größeren Kino in Wien, das ambitionierte Filme zeige und trotzdem Partys im Foyers veranstalte. Und sogar Bier dürfe man mit in den Saal nehmen. Ein Hybrid aus Kino und Konzertclub also. Ein Traum.
So eine Mischung aus Kino und Gemütlichkeit bot in Wels damals das Medien Kultur Haus. Jeweils dienstags war Programm. Oft zeigte der unvergessliche Hans Schoiswohl Filme. Ohne großes Tam-Tam. Eine selbstgebaute Leinwand. Davor ein Beamer. Stühle, Getränke und Filme, von denen ich davor noch nicht einmal gehört hatte. Danach wurde diskutiert. Im Zusammenhang mit Kino ist Gemütlichkeit gelinde gesagt eine zumindest fragwürdige Kategorie, würde der geläuterte Buchautor anmerken.
Schon bald war es erneut ein Wiener Saal, der mich faszinierte. Heide Kouba (sie leitete damals mit Hans Schoiswohl das YOUKI Festival im Medien Kultur Haus) erzählte andauernd von einem Museum, dessen Ausstellungen auf der Leinwand stattfinden. Ein Kinosaal, der zur Gänze schwarz sei. Eine Kinoinstitution, die alles (!) zeige, was man Film nennt. Noch dazu mit der perfekten Anlange. Anspruch und Umsetzung differenzlos aneinander angenähert. Das Berghain unter den Kinos.
Mit den Jahren lernte ich noch eine Reihe weiterer Säle und Institutionen kennen: ein Freiluftkino in Hamburg, einen Filmclub auf St. Pauli, einen adaptierten Pfarrsaal in Steinerkirchen a. d. Traun, ein altes Theater mit Dia-Leinwand als Kinoscreen in Minsk … Und dann gab es da noch das Kaiser Panorama in Wels. Eine stereoskopische Apparatur. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Massenmedium. Als ich mir die 3D-Bilder ansah, war ich meist alleine im Raum. Zugegeben ist das Kaiser Panorama kein Kinosaal, aber auch viele Clubkultur-Bücher beginnen mit dem Vorglühen in der Dorfkneipe.
„From: Kino to: Kino“ wäre, in Anlehnung an einen Clubkracher der späten 1990er Jahre, mein vorläufiger Arbeitstitel. Glücklicherweise muss ich das zugehörige Buch nie schreiben. Fürs Kino wird man nämlich nie zu alt. Auf das Schwelgen in nostalgischen Anekdoten als Substitut für die verpasste Clubnacht kann also verzichtet werden. Dann lieber doch ins Kino!