Diese Notiz skizziert zwei Beobachtungen zu Landschaft und Film: zur Imagination von Landschaften im Film als Aussicht und zu Ansichten von Filmlandschaften.
Bei den Überlegungen zu dieser Webnotiz erinnere ich das Motiv der filmischen Postkarte, das sich seit der Lektüre der Publikation Moving Landscapes (herausgegeben von Barbara Pichler und Andrea Pollach) zum Thema Landschaft und Film gedanklich festgesetzt hat. Seine Notizhaftigkeit einerseits, die auch die Besonderheit der individuellen Note der Postkarte benennt, sein Versprechen bewegter und bewegender Aussichten andererseits, lösen Assoziationen und Ähnlichkeiten zwischen der Form des einstigen Massenmediums der Ansichtskarte und der Fiktion von Filmlandschaften aus. Die Vorstellung jener filmischen Ansichtskarten also ist eine bewegte im doppelten Sinn. Sie erzeugt atmosphärische Ton-Bild-Notizen, die auf Anhieb Bilder von anderswo versprechen: Eindrücke einer Reise etwa, poetische Kulissen, Fiktionen möglicher Erzählungen, romantische Vorlagen sowie dokumentarische Belege, aber auch die Wiederbelebung nostalgischer Erinnerungen an ein Medium, das sich vom Gebrauch als Feldpost, zu Propagandazwecken hin zu individuellen Grußbotschaften wandelte und gegenwärtig am Verschwinden ist. Sie kann dadurch Imaginationen von Geschichten, Stimmungen und Szenarien herstellen. Dabei ist der gewählte Bildausschnitt der Landschaften meist selbst in Bewegung geraten.
„What is this all about“, fragt ein Protagonist in Krzystof Kaczmareks Film Pawel I Wawel (zu sehen im Programm Innovatives Kino der diesjährigen Diagonale) den Filmemacher, während beide den Blick auf die Projektion des polnischen Filmklassikers Pociag / Nachtzug von Jerzy Kawalerowicz richten. Das Setting jener Szene zeigt eine spärlich bis kaum besuchte Vorführung des von Kaczmarek initiierten fahrenden Filmfestivals irgendwo in einer gemeinnützigen Veranstaltungsstätte auf Island, dem Land der Vulkane, Elfen, Kulissen für Autowerbungen und Björk. In einem Interview bezeichnete die Künstlerin, die sich in ihren Musikvideos immer wieder in archaischen, folkloristischen, poetischen und „emotional landscapes“ bewegt, kürzlich das Verhältnis zur Natur vieler Isländer/innen als allgemeine Hightech-Romantik-Haltung. Romantik als eine Möglichkeit, Landschaft und Technik zu assoziieren.
Lässt man den romantischen Zugang beiseite, dann erzeugt Film Landschaften, durch die Auswahl eines Bildausschnitts, einer Ansicht oder Rahmung von Natur. Und mit dieser Konstruktion auch die Entwicklung identitätsstiftender Landschaften, repräsentativer Landschaften, politischer wie sozialer Landschaften.
Die Wahrnehmung von Natur ist, das haben etliche Positionen in Kunstgeschichte und Philosophie gezeigt, ohne das bewusste In-den-Blick-Rücken, sei es durch Malerei, Fotografie oder Film, eher die einer Umgebung, in der man herumwandert, steht, schaut, nur ohne Bild. Die Imagination von Landschaften verspricht eine Aussicht, die wiederum Assoziations- und Interpretationsmöglichkeiten hervorruft. Um die Power dieser Ästhetisierung weiß auch Kaczmarek, wenn er lakonisch wie ironisch auf die Frage nach der Thematik des gezeigten Films, nach der Motivation für sein Festival, nach dem Beweggrund seines eigenen Films antwortet: „It’s about a romantic adventure.“
Vorangegangen sind seinem Film Ansichten tagebuchartig angeordneter Aufnahmen der gesammelten Eindrücke: Bilder von Menschen, Städten und Landschaften seiner Reise durch Island, die als „filmische Postkarten“ atmosphärisch wie selbst-ironisch das Scheitern der einzelnen Stationen des Projekts – kaum eine Person besucht die Vorführungen seines selbst organisierten Zwei-Personen-Festivals – rahmen. Diese Bilder zeigen filmische Landschaften unter anderem als malerische Kulissen sowie touristische Werbeoberflächen und konstruieren Bildkompositionen einer Natur als Landschaft, die Assoziationsfelder zum Genre des Road Movies eröffnen und nebenbei die Frage nach Identifizierungsstrategien, Repräsentationsmustern und narrativen Funktionen ebendieser in den Blick rücken.
Die Aussichten, die imaginierte Landschaften versprechen, zeigen ihre zu Ansichten gewordenen Bilder in Einstellungen und Rahmungen. Sie de-generieren Genres, verhandeln Natur als Landschaft, im Sinne von Settings, Narrationen, experimentellen Anordnungen, Sound, politischen, feministischen, strukturellen oder sozialen Motiven. Die Möglichkeit der Verflechtung von Landschaftsaufnahmen und bewegtem Bild erscheint ebenso vielfältig wie interessant für das Kino und sein Publikum. Diese Beobachtung ist kein Novum, zeigt sich die Überschneidung von Landschaft und Kino doch seit Beginn der Filmgeschichte in Bewegung, im Vorüberziehen spektakulär, fiktiv, emotionalisierend oder strukturell und allgegenwärtig als Topos auf der Leinwand. Eine Wahrnehmung von Landschaft ohne Film lässt sich kaum mehr vorstellen. Ihre Imagination erscheint als entscheidender Aspekt im Hinblick auf die Konstruktion des Sujets der Landschaft selbst.
Das Programm der Sektion innovatives Kino der diesjährigen Diagonale verspricht mit Filmen wie Waldszenen von Annja Krautgasser, E# – from a glacial tune von Florian Kindlinger und Peter Kutin, Eden’s Edge von Gerhard Treml, Into the Great White Open von Michaela Grill, Powder Placenta von Katrina Daschner oder Linz / Martinskirche von Edith Stauber einen Ausblick darauf, dass sich mit Ansichten von Natur beziehungsweise filmischen Landschaften in vielerlei Hinsicht auseinandergesetzt wird.